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Geräuschloser Computer anno 1994

Weia
Weia13.10.2421:01
Der nachfolgende anekdotische Beitrag ist nur von technikgeschichtlichem Interesse und in keiner Weise für die Gegenwart pragmatisch relevant.


Beim Ausmisten bin ich auf ein Stück Technik-Vergangenheit von mir gestoßen, das ich dokumentieren wollte, ehe es entsorgt wird.

Ende 1994 stand die Anschaffung meines ersten eigenen Computers an. Das Betriebsystem sollte NEXTSTEP sein, aber so toll die „schwarze Hardware“ in vielerlei Hinsicht war, so war sie doch sehr – für mich unerträglich – laut; um Lärm schien sich damals noch niemand so recht Gedanken zu machen, das gehörte zu Computern irgendwie dazu wie der Zigarettenrauch in den Club. Ich bin aber extrem lärmempfindlich und hätte mir konzentriertes Arbeiten an so einer lauten Maschine einfach nicht vorstellen können. NeXT hatte die Hardwareproduktion ein Jahr zuvor ohnehin eingestellt; statt eines Restpostens schwarzer Hardware sollte es also ein Intel-PC werden.

Die waren von der Stange freilich kaum leiser, doch man konnte sie sich selbst zusammenbauen. Die Frage war also, wie also konstruiert man im Jahre 1994 einen nicht hörbaren PC?

Damals gab es zwei Lärmquellen, den Netzteillüfter (der das Mainboard gleich mit kühlte) und die Festplatte.

Der Netzteillüfter war kein großes Problem; statt des erforderlichen 200W-Netzteils nahm ich ein um den Faktor 3 überdimensioniertes Industrienetzteil, das durch die geringe Auslastung auch ohne Lüfter völlig cool blieb, und schloss einen Kabelbaum von einem normalen Computernetzteil an:



TODD galt damals als High-End-Hersteller von Netzteilen. Heute gibt es das US-Unternehmen längst nicht mehr, aber immer noch einen regen Handel mit gebrauchten TODD-Netzteilen und deren Reparatur; offensichtlich wurden sie seinerzeit in wichtigen Industrieanlagen eingesetzt.

Der 486er-Intel-CPU habe ich einfach einen etwas größeren Kühlkörper verpasst, ohne mir viele Gedanken darum zu machen.

Das viel größere Problem war die Festplatte. IBM hatte gerade eben die erste Festplatte mit der unvorstellbar großen Kapazität von 1 GB auf den Markt gebracht, aber die röhrte wie der Teufel. Die einzige Möglichkeit, die ich sah, war, die Festplatte vollständig akustisch zu kapseln. Das aber beschwörte wiederum thermische Probleme herauf, sodass die Konstruktion gekühlt werden musste, wofür ich ein Peltier-Element verwendete. Angeblich war das unmöglich, da das durch die Kühlung entstehende Kondensat die Festplatte zerstören würde. Ich habe es trotzdem gemacht und es hat wunderbar funktioniert.

Das Gehäuse zur Kapselung habe ich aus 2 cm dicken MDF-Platten gebaut, wie sie aufgrund ihrer Resonanzarmut für den Lautsprecherbau verwendet werden. Das garantierte nicht nur sehr gute akustische Dämmung, sondern durch die Atmungsaktivität von Holz zugleich auch ein gewisses Maß an Feuchtigkeitsregulierung. Zur Kühlung habe ich ein zweilagiges Peltier-Element verwendet; beide Lagen zusammen brachten es auf eine Temperaturdifferenz von 70°C.

So sah das Ganze von außen aus:



Die Öffnungen zum Herausführen der Kabel wurden mit Kunstharz vergossen. Neben Kabel für Daten und Stromversorgung gab es auch noch die Kabel zu einem direkt an die Festplatte geschraubten Temperaturfühler, die an ein Digitalthermometer angeschlossen waren, sodass die Gehäusetemperatur der Festplatte kontinuierlich überwacht werden konnte. Die beiden Kabel oben rechts versorgen das Peltier-Element mit Strom.

Hier ein Blick mit abgenommenem Deckel:



und hier noch eine Aufsicht direkt auf die Festplatte (um 180° gedreht zur besseren Lesbarkeit der Schrift):



Bemerkenswertes Detail: Damals fertigte IBM High-End-Festplatten in Mainz …

Hier der abgenommene Deckel mit der Innenseite nach oben:



Die Innenseite des Deckels war mit einer Schaumstoffschicht zur akustischen Dichtung beim Aufsetzen auf die untere Hälfte versehen.

In der Mitte des Deckels befand sich eine rechteckige Aussparung für das Peltier-Element und einen gefrästen Aluminiumblock für die verbleibende Dicke des Deckels. Von oben und unten wurden dann innerer und äußerer Kühlkörper mit hohem Druck dagegengeschraubt. Da die Schrauben beidseitig in Einschraubmuttern ins Holz gingen, entstand durch die große innere Zugspannung auf Dauer der deutlich erkennbare seitliche Riss in der MDF-Platte. Dies geschah allerdings erst nach Außerbetriebnahme während der über 20-jährigen Lagerung der Konstruktion.

Hier noch eine Aufsicht auf den Deckel:



Die 4 versenkten Bohrlöcher direkt neben dem Kühlkörper dienten zum dichten Verschrauben mit der unteren Hälfte; mit den 4 Einschraubmuttern am Rand wurde die Konstruktion dann senkrecht an der Rückseite des PC-Gehäuses befestigt, der Kühlkörper ragte nach außen.

Im Dauerbetrieb wurde die Festplatte 47°C warm, ein unkritischer Wert. Der äußere Kühlkörper erreichte 80°C, das heißt, der innere Kühlkörper kühlte den Innenraum mit 10°C. Zu hören war absolut nichts, solange man das Ohr nicht direkt ans Gehäuse hielt; dann vernahm man ein ganz leises Brummen. Die ganze, angeblich unmögliche Konstruktion lief 8 Jahre lang circa 15 Stunden pro Tag ohne jedes Problem. Anfang 2003 stellte ich meine Arbeit dann vollständig auf den G4 Cube um. Die Festplatten waren zu diesem Zeitpunkt zwar schon deutlich leiser geworden, trotzdem hatte ich mit der Geräuschentwicklung des Cubes ganz schön zu kämpfen, nachdem ich 8 Jahre vollkommene Stille gewohnt war.

Die ganze Konstruktion brachte 4,5 kg auf die Waage; heute speichert ein USB-Stick mit ein paar Gramm ein Vielfaches davon. Wenn ich diese 30 Jahre Revue passieren lasse, scheint mir plötzlich, dass sich die Hardware viel stärker weiterentwickelt hat als die Software. Sonderlich haben sich TextEdit (damals hieß es noch Edit) und Mail nicht verändert in diesen 30 Jahren, Pages kann immer noch nicht alles, was FrameMaker seinerzeit konnte und Bugs gibt es heute mehr als damals. Und die konzeptionelle Konsistenz von NEXTSTEP wurde nie wieder erreicht. 😳
„“I don’t care” is such an easy lie. (The Warning, “Satisfied”)“
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Kommentare

Mendel Kucharzeck
Mendel Kucharzeck13.10.2421:24
Vielen Dank für den Bericht! Sehr lesenswert!
+2
Sputnik123
Sputnik12313.10.2422:16
Weia
...


Echt schön zu lesen.

Meine Vermutung zum Thema HDD und Kühlung:

das MDF Gehäuse ist geschlossen, die Kalte Seite hat ein sehr kleines Volumen, es ist einfach nicht genug Luft vorhanden um Kondenswasser zu bilden, des Weiteren ist 10° nicht wirklich kalt (dafür )

Die Idee ist klasse - der Stromverbrauch der beiden Elemente sicherlich nicht

Gibt es ein Foto vom kompletten Computer?
„cum hoc ergo propter hoc“
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Weia
Weia13.10.2422:31
Sputnik123
Meine Vermutung zum Thema HDD und Kühlung:

das MDF Gehäuse ist geschlossen, die Kalte Seite hat ein sehr kleines Volumen, es ist einfach nicht genug Luft vorhanden um Kondenswasser zu bilden, des Weiteren ist 10° nicht wirklich kalt (dafür )
Aber das hätten diejenigen, die das für unmöglich erklärten, ja durchaus ins Kalkül ziehen können. Ich meine, die Konstruktion ist ja nicht sehr originell – wenn man überhaupt sowas machen will, landet man, denke ich, mehr oder weniger immer bei so einer Konstruktion.
Gibt es ein Foto vom kompletten Computer?
Leider nein – den habe ich 2003 bei einem Umzug direkt entsorgt.
„“I don’t care” is such an easy lie. (The Warning, “Satisfied”)“
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