Wenn einer eine Hülle hat ...
"Boah. Sieht DAS mal geil aus. Apple hat echt die besten Designer. Kein Telefon der Welt sieht so geil aus wie das iPhone, Alter. Echt!"
So oder ähnlich beginnt der alltägliche Wahnsinn mit der Christo-Psychose. "Christo? Wer ist dat denn?" "Ach, so'n Verpackungs-Künstler. Hat mal den Reichstag, eine Insel, 'ne Brücke und noch mehr eingepackt, also verhüllt."
Unser Protagonist, immer noch voll des Lobes für das unglaublich schöne Design des iPhones, legt in Gedanken seine Finger schon auf den Touchscreen und läßt den virtuellen Schieber liebvoll nach rechts gleiten; hört sich schon die magischen Worte sagen: "Ich hätte gern ein iPhone."
Seine Gedanken gleiten auf der iPhone-Rückseite vom unteren schwarzen Kunststoff über die matte Metallfläche und bleiben am glänzenden Apple-Symbol hängen. Ein wenig verspielt versucht er, in dem spiegelnden Material sein Gesicht zu erkennen. Ein Lächeln gleitet über seine Lippen. "Wie schön es doch ist, ich liebe es."
Doch vor dem Genuss hat der Herr die Arbeit gestellt. "Es ist so schön, das man es schützen muss". Es darf nicht zerkratzen, kein Fingerabdruck darf sein iPhone verunzieren. Was wäre schließlich ein so wundersames Gerät mit häßlichen Fingerabdrücken? DAS DARF NICHT SEIN!
Also flugs den Website-Katalog aufgeschlagen, und nach einer Schutzhülle gesucht. Das Angebot ist reichlich und schnell ist eine passende gefunden. "Ist ja eh egal, soll ja nur die Kratzer vom Gehäuse abhalten", und so wechseln 12 Euro den Besitzer, damit das neue iPhone morgen auch sofort sicher sein Dasein fristen kann.
Die Nacht geht schnell vorüber und unser Held schreitet schon früh in den T-Punkt um sein neues Wunderwerk zu empfangen. Kaum zu Hause wird die wunderschöne, elegante und doch dezente Verpackung des Geräts entfernt, das iPhone entnommen, und direkt in seine neue Hülle gesteckt.
Stolz hebt unser Westentaschen-Christo seine neue Errungenschaft in die Höhe und ruft: "Schau mal, Digger, sieht das nicht geil aus?"
"Was soll geil aussehen? Die billige 12-Euro-Hülle?"
"Nein, ich meine das iPhone!"
"Das kann ich aber nicht sehen!"
"Kannst du mir schon glauben - das fühlt sich echt geil an."
So oder ähnlich spulen sich tagtäglich -zig Dialoge ab. Wenn man Glück hat. Vielleicht aber auch nicht, denn es scheint mittlerweile völlig normal zu sein, dass man sich etwas schönes kauft, um es dann sofort hässlich einzupacken. Gerne auch mit der Begründung: "Es soll ja schön bleiben".
Und immer wieder stören mich an dieser Aussage zwei, drei Dinge.
Erstens ist das iPhone (und viele der anderen gut verhüllten Dinge auch) ziemlich kratzfest. Sehr ziemlich sogar. Und selbst wenn ein Fingerabdruck oder ein kleiner Kratzer drauf ist, sieht das immer noch zwei- bis drei Millionen mal besser aus als JEDE Hülle.
Zweitens wird das schlanke Gerät (ja nach Hülle) plötzlich ziemlich unhandlich. Die gleichen Journalisten, die in ihrer Zeitschrift ein wenig mit Stolz darüber schreiben, wie schmal das Ding ist, packen es in eine Hülle, die es doppelt so dick und dreimal so unhandlich macht. Unfassbar!
Und schließlich drittens: Man behält sein iPhone nicht sein Leben lang. Selbst WENN es extrem zerkratzen würde (was es ja nicht tut), hätte der Durchschnitts-User es kaum länger als zwei, höchstens drei Jahre, und dann ist das nächste fällig.
Ich jedenfalls habe mein iPhone lose in allen Taschen, es reibt am Haustürschlüssel, rappelt im Boot ungeschützt im Schwalbennest, ist mir schon zweimal auf den Fliesenboden geknallt und hat immer noch keine Kratzer (und sollte es mal welche kriegen: siehe 1.)
Dass Autositze bedeckt werden, Tische mit wunderschöner Maserung und edle Ledersofas im ewig Dunklen dahin vegetieren, iPods, Mobiltelefone - ja, sogar Werkbänke ihrer natürlichen Schönheit beraubt werden, es MUSS ein neuer Virus umher gehen, der offensichtlich viele Besitzer schöner Dinge erfasst.
Aber glücklicherweise finde ich hin und wieder doch noch jemanden, der nicht dem Verhüllungs-Wahn verfallen ist, und gemeinsam ergötzen wir uns dann an der schlichten Schönheit des Designs jedweden Dings.
Nach der Stein-, Bronze- und Eisenzeit heben wir nun unsere Gläser und geben ein Toast auf das Verpackungs-Zeitalter.
Christo lässt grüßen.