AirPods Max: Computational Audio und die PreisfrageEs war ein geschickter Marketing-Schachzug von Apple, diesen Begriff für die
AirPods Max offen anzuwenden. Kameras in iDevices und den Smart-Devices anderer Hersteller arbeiten heutzutage mit sehr viel Rechenleistung, cleveren Algorithmen und "künstlicher Intelligenz", um die Fotoqualität der winzigen Bildsensoren auf ein Niveau zu heben, das in gewissen Bereichen sogar Profi-Kameras mit vielfach größeren und leistungsfähigeren Sensoren alt aussehen lässt. Zumindest oberflächlich für den Laien betrachtet. Jedenfalls hat sich das unter dem Begriff „Computational Photography“ als eine Art Qualitätsmerkmal eingebürgert.
Computational Audio soll ähnliches bei der Musikwiedergabe vollbringen, wobei aber klar differenziert werden muss. Computational Audio ist letztlich nur ein hochtrabender Begriff für digitale Signalbearbeitung zur automatischen und adaptivem klanglichen Anpassung an bestimmte Begebenheiten – oder ganz stark vereinfacht: die sehr moderne Form eines Equalizers. Apple spricht hier von „Adaptive EQ“. Ob Apples "intelligente" Klanganpassung in der Praxis gut funktioniert und nicht zu beispielsweise übertriebenem Bass führt, muss die Praxis zeigen.
Zitat Apple:
Der Adaptive EQ passt den Klang an die individuelle Passform und Versiegelung an, die durch die Ohrpolster entstehen. Nach innen gerichtete Mikrofone messen, was du hörst, und optimieren die Frequenzen deiner Musik. So bekommst du immer ein intensives Hörerlebnis, das jede Note originalgetreu wiedergibt.
Für guten Klang im Sinne von „Originalgetreu“ müssen erst mal gewisse akustische Grundvoraussetzungen erfüllt sein. So ist beispielsweise bei einem geschlossenen Over-Ear-Kopfhörer eine sorgfältige Resonanzkontrolle und Abstimmung der Akustikkammer erforderlich. Das kann entweder auf mechanischem Wege (durch Anpassung der Geometrie, Bedämpfungselemente, Resonanzöffnungen etc.) erfolgen, oder indem man akustische Unzulänglichkeiten hinterher "wegrechnet". (Oder durch kombinierten Einsatz beider Methoden bekämpft.) Das ist dann quasi so etwas wie eine Raumeinmessung. Welchen Weg Apple hierfür gewählt hat, lässt sich nicht sagen. Die Regel lautet aber: Je weniger du hinterher korrigieren musst, desto besser.
Auch unklar ist, wie gut Apple die Umsetzung des virtuellen Surroundsounds (hier: 3D-Sound) gelungen ist. Klar ist: Die Bewegungssensoren und der H1-Chip sollen dafür sorgen, dass der Ton Kopfbewegungen berücksichtigt und damit die Klangquelle auf eine Richtung festnagelt, egal wohin der Nutzer seinen Kopf bewegt. Es gibt andere Ansätze dieses Problem zu lösen, aber eine wirklich überzeugende Surround-Darbietung über zweikanalige Kopfhörer ist mir bisher noch nicht untergekommen. Auf jeden Fall ein interessantes Feature, dass es sich zu erforschen lohnt. Gut möglich, dass Apple hier etwas gelungen ist, an dem sich andere Jahrzehntelang die Zähne ausgebissen haben.
Als Liebhaber möglichst naturgetreuer und unverfälschter Reproduktion der Aufnahme kommt es mir persönlich eher auf die Stereo-Performance an. Da wird es interessant zu hören, ob die Max gegen Konkurrenten wie den beyerdynamic Amiron Wireless (
Testbericht) bestehen können.
Die Over-Ears aus Cupertino richten sich weniger an die relativ kleine und anspruchsvolle Gruppe besonders Klang-sensitiver Menschen (Audiophile), sondern an ein Lifestyle-orientiertes Massenpublikum, dem bestimmte Funktionen wie Siri, Noise Cancelling und „3D-Sound“, sowie Design und Markenname letztendlich wichtiger sein dürften, als der bestmögliche Klang fürs Geld. (Auch wenn viele es nicht zugeben würden.) Natürlich spielt die Klangqualität auch für die Max-Zielgruppe eine Rolle, aber ich glaube nicht die letztlich entscheidende. Es bleibt zu hoffen, dass der Klang der Max deswegen nicht – ähnlich wie bei Computational Photography – auf einen Massengeschmack mit besonders saturierten Mitten, überproportionalem Bass und gedämpften Höhen für unangestrengt wirkenden Sound ausgerichtet ist.
Preis: 597,25 Euro – Ist das (zu) teuer?Abgesehen von Apples speziellem H1-Chip und dessen Rechenkünsten ist die gesamte in den
AirPods Max verbaute Technik mehr oder weniger Standard in dieser Preisklasse. So gesehen passt der Preis exakt in das Konkurrenz-Umfeld von Marken wie Sennheiser, beyerdynamic, B&W, Shure, aber auch größeren Namen wie Philips, Panasonic und Sony.
Ob die Max „zu teuer“ sind, hängt in erster Linie vom persönlichen Einkommen und Budget ab, sowie davon, wie viel einem ein gewisser Luxus oder Komfort wert ist. Weniger davon, wie viel der Hersteller dafür verlangt. Ich bin mir sicher, dass Apple allein wegen seines Namens, des Kundenstamms und der guten Verzahnung seiner Produkte die AirPods Max schon bald in Stückzahlen verkaufen wird, von denen etablierte Kopfhörer-Hersteller nur träumen können.
Jetzt die schlechte Nachricht: Ob ich die AirPods Max für Rewind testen werde, ist ungewiss. Zumindest kurzfristig sieht es nicht danach aus. Die Testmusterbeschaffung über Apple, bzw. deren Pressebetreuung ist … umständlich. Kurzfristig ist da überhaupt nichts zu machen. Die Alternative, mir die AirPods Max einfach zu kaufen und innerhalb der Rückgabefrist zurückzusenden, ist nicht mein Stil. Und einen festen Kauf plane ich nicht, da ich keinen Bedarf für die Max habe und gut mit anderen Kopfhörern versorgt bin. – Sorry dafür. Sollte sich unerwartet doch eine Testmöglichkeit mit Vergleichen zu meinen Referenzen ergeben, reiche ich das natürlich nach.
ZusammenfassungDie technischen Voraussetzungen und die Umsetzung lassen darauf hoffen, dass sich die AirPods Max klanglich bei "linearer" Wiedergabe (ohne besonderes Processing) in einem Bereich zwischen Kopfhörern wie den
B&W PX7 und dem
beyerdynamic Amiron Wireless einordnen. Dank des H1-Chips erhalten Mac- und iOS-User mit 3D-Sound, Dynamic Head Tracking und anderen Features Mehrwerte, die andere Hersteller nicht zu bieten haben. Das, sowie die mutmaßlich hohe Material- und Verarbeitungsqualität lassen den geforderten Preis von rund 600 Euro gerechtfertigt erscheinen. An einem großen Verkaufserfolg habe ich keinerlei Zweifel.