Die technischen Aspekte und Implikationen des "Apple Silicon" sollen hier nicht die Hauptrolle spielen. Stattdessen möchte ich kurz die Frage in den Raum werfen, ob Apples Hardware-Strategie künftig zu noch stärkerer Nutzerabhängigkeit führen könnte, als das bislang schon der Fall ist. Apple Silicon ist nicht der Grund für diese Überlegungen, sondern nur ein passender Anlass.
Die Meisten wissen, dass Apple ein in sich sehr geschlossenes "Ökosystem" pflegt. Eine der Auswirkungen ist, dass Apples Betriebssystem-Varianten (macOS, iOS, iPadOS, watchOS, tvOS) nicht an andere Hersteller lizenziert werden. Einen Windows- oder Linux-PC kann im Prinzip jeder bauen und so gestalten, wie es die jeweiligen Betriebssystemgrenzen im Zusammenspiel mit der Hardware erlauben. Auch Android ist quasi beliebig nutz- und anpassbar. So gibt es nicht nur Smartphones mit Googles Android von zahllosen Herstellern, sondern auch TV-Geräte oder beispielsweise HiFi-Komponenten, wie den kürzlich
hier vorgestellten Rose RS201E. Das heißt, Innovation in anderen Bereichen kann sich auf die über Jahre gewachsene Leistung und die Möglichkeiten von Android & Co. stützen. Ein Hersteller wie Rose HiFi wäre nie in der Lage, aus eigenen Mitteln ein vergleichbar mächtiges OS auf die Beine zu stellen.
Apple macht sein eigenes DingBei Apple sieht die Sache anders aus. Kein anderer Hersteller kann beispielsweise iOS nutzen, um darauf aufbauend eigene Hardware anzubieten. Eine Komponente wie der zuvor genannte Streaming-Amp mit iOS wäre eine äußerst attraktive Sache … wird es aber nie geben.
Die Vorteile von Apples Strategie liegen auf der Hand und lassen sich in den heutigen Produkten an vielen Stellen wunderbar nachvollziehen. So ist – um nur eines von vielen Beispielen zu nennen – das Zusammenspiel zwischen den verschiedenen Plattformen (Mac, iDevices, HomePods etc.) nicht nur aufgrund der gemeinsamen Betriebssystembasis exemplarisch gut. Dafür verantwortlich ist auch Hardware, wie der H1-Chip in den AirPods. Auch die Effizienz des Systems kann durch diese enge Verknüpfung besser optimiert werden.
Kurz gesagt ist letztendlich das enge Zusammenspiel zwischen OS und Hardware der entscheidende Vorteil für Apple. Andere Hardware-Hersteller müssen sich stets an die von Drittherstellern eingekauften Komponenten anpassen. Technische Wunschvorgaben an die Chip-Produzenten sind nur in gewissen Grenzen möglich. Sei es der Hauptprozessor, die Grafik-Hardware oder auch nur Controller-Chips für Schnittstellen. Von dieser Abhängigkeit befreit Apple sich mehr und mehr. Eigene Apple Prozessoren – oder genauer gesagt: SoC (System-on-a-Chip) – waren dafür ein wichtiger und großer Schritt, aber sicher nicht der Letzte. Apple hat schon angedeutet, weitere Komponenten in Eigenregie fertigen zu wollen, bzw. zu Entwickeln und in Auftrag fertigen zu lassen. (Apple Silicon wird von TSMC produziert.)
Die Vorteile für den Nutzer wie auch für Apple sind vielfältig. Aus Anwendersicht wird die Hardware einfach immer besser nutzbar und miteinander kombinierbar, aus Apples Sicht sinken die Kosten, die Abhängigkeiten von Zulieferern wird minimiert und die Marge steigt noch weiter.
Also eine Win-Win-Situation, oder?
Im Grunde genommen schon. Doch ohne den Teufel an die Wand malen zu wollen, sehe ich darin auch die Gefahr einer noch größeren Abhängigkeit der Nutzer von Apple, als ohnehin schon. Wer NUR einen Mac oder NUR ein iPhone nutzt, kann sich noch relativ einfach für einen Systemwechsel entscheiden, sollte "die andere Seite" irgendwelche attraktiveren Eigenschaften bieten. Es gibt auch genügend Nutzer, die beispielsweise einen Mac besitzen, andererseits aber ein Android Smartphone nutzen. Das geht – aber das Zusammenspiel ist nicht so gut, wie mit einer Apple/Apple-Nutzung.
You're Locked-InJe mehr Apple-Komponenten und -Dienste man nutzt, desto schwieriger wird ein "Ausstieg". Bitte nicht falsch verstehen: Ich sehe das nicht pauschal als Problem, denn ich selbst habe mich sozusagen mit Haut und Haaren Apple verschworen. Ein Systemwechsel, wie ich ihn beispielsweise bei Kameras schon mehrfach vollzogen habe, steht bei Mac und iDevices (und Watch) für mich zur Zeit einfach nicht zur Debatte. Andererseits möchte ich mich auch nicht blindlings immer noch tiefer in den Kaninchenbau stürzen und mir Apples Wunderland der immer zahlreicheren Home-Accessoires (HomePod, AirPod, ATV…) ans Bein binden, die teils (fast) nur mit Apple-Diensten kombinierbar sind.
Hardware ist die eine Sache. Es wird aber immer deutlicher, dass künftig Dienste bei Apple die Hauptrolle übernehmen werden. Abos, Abos, Abos! Das vertieft die Abhängigkeit noch weiter. Nicht umsonst bietet Apple seit kurzem (soweit im jeweiligen Land verfügbar) auch eine "Flatrate" (
Apple One) für alle seine virtuellen Angebote an.
Wo wird das langfristig hinführen?Eigene Prozessoren erlauben Apple ab sofort ein noch engeres Zusammenspiel zwischen Hard- und Software. Einschließlich der Lauffähigkeit von iOS-Programmen auf Macs. Das wird die Leistung und Effizienz der gesamten Plattform steigern, das Ökosystem in sich aber noch mehr abschotten. Möglicherweise werden andere Hersteller Technologien entwickeln, die sich als weltweit genutzter Standard durchsetzen, bei Apple aber nie Einzug halten, weil die lieber ihre eigenen Standards pflegen, womit sie auch die Kunden an die kürzere Leine nehmen.
Aktuelles Beispiel: Die HomePods waren bislang in Sachen Musikwiedergabe mehr oder weniger auf Apple Music beschränkt. Erst der immer stärker werdende Druck von Wettbewerbshütern hat Apple letztlich dazu bewegt, diese (auch in anderen Bereichen angewandte) Praxis zu lockern und weiteren Diensten Zugang zu den HomePods zu ermöglichen (
). Mit zunehmender "Verkapselung" des Systems durch proprietäre Chips und Protokolle könnten sich in Zukunft aber neue Nutzungsbeschränkungen für Nicht-Apple-Technologien ergeben.
Kundenbindung wie (nicht nur) Apple sie betreibt ist ein schleichender Prozess. Wie der Frosch in einem sich langsam erhitzenden Wassertopf nicht rausspringt, sind auch die Kunden irgendwann weichgekocht, ohne es zu merken. Kein Hersteller macht das momentan geschickter als Apple. Wie sieht diese Abhängigkeit in zehn oder 20 Jahren aus? Gelingt es Apple, jede noch so kleine Ausstiegsmöglichkeit zu verbauen, sodass wir am Ende alle quasi zwangsweise einen Großteil unseres Einkommens an die Apple Bank überweisen?
Um es ganz klar zu sagen: In der Summe aller Dinge sehe ich in Apples Strategie hauptsächlich Vorteile für alle. Der dezente Hinweis, sich über die Kundenbindung mal Gedanken zu machen und vielleicht nicht jeden neuen Dienst von Apple blind zu buchen, ist keine Aufforderung zum Apple-Boykott, sondern nur ein Denkanstoß.