Canon EOS R im Praxistest – Spiegellos in die Vollformat-Zukunft
Hinweis: Für eine detaillierte Vorstellung der EOS R lesen Sie bitte
diesen Artikel. Weitere Informationen u.a. zum RF-Mount im Vergleich mit anderen Objektivanschlüssen finden sie
hier.
Manche hatten die Hoffnung schon fast aufgegeben, aber nun ist es doch passiert: Canon ist (wie auch sein Erzrivale Nikon) in den Markt für spiegellose Vollformatkameras eingestiegen. Mit der EOS R führen die Japaner erstmals seit der Vorstellung des EOS-Systems in den Achtzigern auch einen neuen Objektivanschluss für dieses Format ein.
KompaktEmpf. Preis (€) | | 2.499 (mit EF-Adapter) |
Als nicht rein auf Fotografie spezialisiertes Magazin habe ich nun für Rewind mit einiger Verspätung auch die Gelegenheit bekommen, die Canon EOS R (
Amazon) zusammen mit zwei RF-Mount Objektiven näher unter die Lupe zu nehmen. Das Problem dabei ist, dass inzwischen schon massenhaft Testberichte sowohl zur Canon EOS R als auch zur Nikon Z6/Z7 existieren. Also was soll ich darüber noch schreiben, was nicht schon tausend mal gesagt wurde? Aus diesem Grund habe ich beschlossen, die Sache diesmal etwas anders anzugehen. Anstatt intensiv auf die Bildqualität oder die Vor- und Nachteile im Detail einzugehen, sollte die EOS R sich bei mir im rein praktischen Vergleich mit meiner Arbeitskamera Olympus OM-D E-M1 beweisen. Also einer schon mehrere Jahre alten Kamera mit zudem noch einem viel kleineren Sensor, die eigentlich keine Chance im Pixel-zu-Pixel-Vergleich hat.
Aber wie steht es mit der Handhabung? Der automatischen Belichtung? Der AF-Performance im Alltag? Ja sogar den Vergleich mit der iPad Pro (11“) Kamera muss sich Canon diesmal gefallen lassen. Denn die schiere Bildqualität allein sagt noch nichts über die Alltagsqualitäten einer Kamera aus.
Die grundsätzlichen Unterschiede zu Kameras mit kleineren Sensoren wie Four-Thirds dürften den meisten bekannt sein. Mit einem sogenannten Vollformatsensor bringt die EOS R vor allem bei den Objektiven deutlich mehr Gewicht und Größe an den Start, als beispielsweise Micro Four Thirds-Kameras, wie die E-M1. Das Kameragehäuse der EOS R ist dank des Wegfalls der Spiegelmechanik und einiger anderer Baugruppen kaum größer und schwerer, als meine E-M1 (mit angesetzter
Kameraplatte von Really Right Stuff). Als System betrachtet – und wir reden hier nun mal von Systemkameras mit Wechselobjektiven – bleibt Vollformat aber trotzdem eine Lösung für voluminösere Kamerataschen mit erheblich mehr Gewicht. An der „Formatfrage“ ändert sich im Gegensatz zu früheren SLRs (Single Lens Reflex) mit Klappspiegel also nur relativ wenig. Objektive für SLM (Single Lens Mirrorless) können zwar im Prinzip auch kleiner gebaut werden, aber je nach Auslegung der Optik, ist das nicht zwingend der Fall. Die Entwickler können den zusätzlichen Platz auch für bessere optische Eigenschaften nutzen – was Canon bei den neuen RF-Objektiven teilweise auch macht.
Bekanntermaßen ist es mit größeren Sensoren einfacher, den so beliebten Bokeh-Effekt zu erhalten. Also diese bei möglichst weit geöffneter Blende erzeugte, sanfte Unschärfe im Vorder- und Hintergrund, welche das Hauptmotiv plastischer hervorpoppen lässt. Darum, und weil sich auf größeren Sensoren eben mehr Pixel unterbringen lassen, bevorzugen viele Fotografen Vollformat (im Folgenden FF für „Full Frame“ genannt). Auch die besseren High-ISO-Eigenschaften (weniger Rauschen) gehören zu den beliebten Argumenten für Vollformat. Alles richtig und nicht wegzudiskutieren. Allerdings: Gutes Bokeh kann man auch mit APS-C oder gar Micro Four Thirds (im Folgenden MFT genannt) erzeugen. Super viele Megapixel braucht man realistisch betrachtet meist nicht, die fressen nur viel Speicherplatz. Und das Rauschen ist inzwischen auch mit MFT auf einem so niedrigen Niveau, von dem man mit Film nur träumen konnte.
Auch wenn ich damit womöglich in ein Wespennest steche sage ich es frei heraus: Nur die allerwenigsten Profis oder gar Amateure brauchen wirklich eine Vollformat-SLM mit weit über 20, 30 oder gar 50 Megapixeln. Das Endergebnis landet meistens als verkleinerte Bilder im Netz, wo kein Mensch ohne pixelgenaue Analyse oder Auswertung der EXIF-Daten sagen kann, welches Foto mit welcher Kamera oder gar mit welchem Sensorformat aufgenommen wurde. Natürlich gibt es Ausnahmen, die den Griff zu FF trotzdem rechtfertigen. Zum Beispiel, wenn man die vielen Megapixel als Crop-Reserven nutzen will, um damit ein teures und schweres Teleobjektiv einzusparen, oder um weniger gute Makro-Eigenschaften durch Bildbeschnitt auszugleichen. Und natürlich für sehr großformatige Prints in hoher Auflösung. Aber wie viele SLR/SLM-User machen das schon? Ausgezeichnete Druckergebnisse bis DIN A1 kann man auch mit 12 Megapixeln erzeugen – was bis vor wenigen Jahren auch die Regel war, als Kameras wie die Nikon D3 das Maß der Dinge waren.
Was auch immer die Gründe sind, fest steht, dass spiegellose Vollformatkameras derzeit stark gefragt sind. Und was der Markt (bzw. der Kunde) fordert, wird früher oder später auch angeboten. Bei Canon halt etwas später, als bei anderen. Vor allem Sony hat ein paar Jahre Erfahrungsvorsprung. Aber das heißt nicht, dass für Canon (oder Nikon) der Zug abgefahren ist.