Der RF Objektivanschluss und die Objektive – Das Pfund, mit dem Canon künftig wuchern kannWährend viele Tester von der EOS R irgendwie ein bisschen enttäuscht zu sein scheinen, weil die Japaner nicht gleich einen EOS-1-Killer, sondern eher ein spiegelloses Mittelding zwischen EOS 6D und 5D gebracht haben, und weil es funktional einige deutliche Nachteile gegenüber der Konkurrenz gibt (wie beispielsweise den 4K Video-Crop der EOS R), ist man sich bei den neuen RF-Mount Objektiven und dem zugehörigen Objektivanschluss weitgehend einig, dass Canon hier alles richtig gemacht hat. Auch dem schließe ich mich an.
Der neue RF-Mount bedeutet eine der einschneidendsten Umstellungen in Canons Vollformat-Strategie seit der Einführung des EOS
EF-Mount 1987. Dabei ist gar nicht so viel anders, als zuvor. Vor allem der vergleichsweise große Durchmesser des Bajonett-Anschlusses von 54 mm wurde beibehalten. Nur das Auflagemaß wurde wegen des Wegfalls des Spiegels auf 20 mm deutlich verkürzt und neue elektronische Anschlüsse für bessere/schnellere Datenkommunikation und mehr Zukunftssicherheit sind hinzugekommen. Mehr dazu in
diesem Artikel.) Canon hat damit – ähnlich wie Nikon mit ihren neuen Z-Mount – deutlich mehr Entwicklungsspielraum für Optiken, als beispielsweise Sony oder das neue
L-Mount Konsortium. Das heißt
nicht, dass die Anderen keine guten Objektive für ihr System bauen können. Es heißt nur, dass Canon (und Nikon) etwas mehr „Luft“ an bestimmten Ecken und Enden haben, was zu Objektivkonstruktionen führen
kann, die andere so nicht verwirklichen können. Die besten Karten hat hierbei Nikon in der Hand, gefolgt von Canon.
Die ersten vier zum Start erhältlichen Objektive sind ein Anzeichen dafür, dass sich Canon mit dem RF-Mount viele interessante Möglichkeiten eröffnet hat. Seien es besonders kompakte Objektive, sehr lichtstarke, oder aber optisch besonders überragende.
Die vier Startangebote für die EOS R sind:RF 24-105mm f/4 L IS USM – €1.199
RF 28-70mm f/2 L USM – €3.249
RF 50mm f/1.2 L USM – €2.499
RF 35mm f/1.8 Macro IS STM – €549
sowie
Mount Adapter EF-EF-EOS R – €109
Control Ring Mount Adapter EF-EF-EOS R – €219
Drop-In Filter Mount Adapter EF-EF-EOS R (V-ND) – €449
Für den Test habe ich mir bewusst das 24-105 mm Zoom und das günstige 35 mm ausgesucht. Auf das beeindruckende 50 mm f/1,2 haben sich eh schon alle anderen gestürzt. – Verständlicherweise. Das 28-70 mm f2,0 ist zwar ebenfalls eine beeindruckende Konstruktion, aber sehr teuer, sehr schwer, groß und im Weitwinkel leider auf 28 mm begrenzt. Wer das Glück hatte, dieses Objektiv schon mal testen zu können, zeigte sich aber von der überragenden Abbildungsqualität beeindruckt. Mich interessierte in erster Linie ein möglichst flexibles Allround-Zoom und eine kompakte Festbrennweite.
Die Objektive sind äußerst überzeugend. Das 24-105 ist zwar trotz Mirrorless ein ganz schöner Bolide, der das Gewicht samt Kamera auf satte 1.405 g treibt, begeistert aber mit ausgezeichneten optischen Eigenschaften, einem super-schnellem AF, flüsterleisem IS und einer ganz tollen Haptik und Verarbeitung (mit Ausnahme des zu leichtgängigen und etwas schwammigen Control Ring). Nicht zuletzt deckt es mit seinem Brennweitenbereich bei durchgängiger Lichtstärke f/4 ein riesiges Einsatzspektrum ab. Gute Entscheidung von Canon, von Anfang an ein solches Allround-Talent anzubieten. Die Makro-Eigenschaften des RF 24-105 könnten etwas besser sein. Die maximale Vergrößerung beträgt 0,24x bei ca. 45 cm Motivabstand.
Auch das RF 35mm f/1,8 ist eine gute Wahl. Es hat zwar keine L-Designation (Canons Top-Objektive, mit „L“ und einem roten Ring gekennzeichnet), bietet aber dennoch eine ausgezeichnete optische Leistung, verbunden mit hoher Lichtstärke, geringem Gewicht und gewissen Makro-Fähigkeiten. Sogar ein IS ist an Bord. Schade nur, dass Canon ihm keinen Micro USM Motor für den AF spendiert hat. Der AF im 35er ist etwas laut, nicht super schnell und einfach nicht mehr zeitgemäß. Auch nicht für den Preis. Dafür entschädigt es mit Makro 1:2 (0,5x Vergrößerung bei 17 cm Motivabstand. Im Test hatte die Kamera damit allerdings manchmal Probleme, Objekte bei sehr geringer Distanz zu fokussieren, was sich erst durch manuelles Scharfstellen beheben ließ.
Beim RF 35 zeigt sich eine der Möglichkeiten des geringen Auflagemaßes. Das rückseitige Linsenelement ragt sehr weit in das Kameragehäuse und damit nahe an den Bildsensor heran. Das bedeutet geringere Verzeichnung ohne dafür aufwendige optische Korrekturen im Inneren durchführen zu müssen. Mit Klappspiegel wäre so ein Design undenkbar.
Leider gibt es noch keine konkrete Roadmap, die einen Ausblick auf künftige RF-Objektive bietet. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Canon die Möglichkeiten des großen Bajonett-Durchmessers gut zu nutzen weiß.
Ich brauche wohl nicht näher zu erwähnen, dass ein weiterer Vorteil des RF-Mount darin besteht, nahezu alle bisherigen EF-Objektive mittels eines der drei verfügbaren Adapter uneingeschränkt weiter verwenden zu können. Manche kritisieren, dass Canon (wie auch Nikon) die Spezifikationen für den Mount (bzw. dessen Anschlüsse) nicht frei zugänglich macht. Das erschwert es Drittanbietern wie Sigma oder Tamron RF-kompatible Objektive herzustellen. Aber ich bin sicher, die Anbieter werden das – wie in der Vergangenheit – durch Reverse-Engineering schnell selbst herausfinden und eigene RF-taugliche Objektive anbieten.