Canon RF 100 PraxisEinige Marotten aus der DSLR-Ära hat Canon mit in die RF-Objektivserie übernommen. So werden nur Objektive mit L-Designation inklusive einer Streulichtblende geliefert. Beim RF 100 ist dementsprechend eine dabei. Außerdem findet sich im Karton ein (meist überflüssiger) Objektivbeutel und die Papiere. Die vorderen und hinteren Linsen bzw. Anschlüsse werden durch die üblichen Objektivdeckel/Kappen geschützt. That’s it.
Das RF 100 an der EOS R6, mit und ohne Streulichtblende.
Optional gibt es für das RF 100 eine
Stativschelle, für die der Hersteller satte 189 Euro aufruft. Von Drittherstellern finden sich sicherlich deutlich günstigere Alternativen. Wer über ein ausreichend stabiles Stativ mit ebenso solidem Stativkopf verfügt, wird in den meisten Fällen wohl damit auskommen, den Kamera-Body am Stativkopf zu befestigen. Die Balance ist damit zwar nicht so gut, wie mit einer Stativschelle, für meine Zwecke ist das jedoch völlig in Ordnung. Also habe ich auf die Stativschelle verzichtet.
Apropos Stativ. Für normale fotografische Situationen lässt sich das RF 100 mitsamt Kamera sehr gut freihändig nutzen. Auch dank der exzellenten Bildstabilisierung des Systems. Für Makroaufnahmen sieht die Situation aber anders aus. Erstens verringert sich bei extrem kurzem Motivabstand die Effizienz der Stabilisierung (siehe technische Daten oben), zweitens ist für Makro meistens ein deutliches Abblenden erforderlich, um die ansonsten extrem schmale Schärfeebene zu erweitern. Um ein Stativ kommt man für Makro kaum herum.
Nicht selten dürfte bei extremen Makro-Aufnahmen auch eine Focus-Bracketing-Reihe nützlich sein. Die Canon R-Serie Kameras bieten hierfür eine entsprechende Funktion. Damit lassen sich bis zu 999 Aufnahmen mit jeweils leicht versetztem Fokuspunkt aufnehmen. Die Zusammensetzung dieser Aufnahmen erfolgt allerdings nicht in der Kamera, sondern muss in der Nachbearbeitung mit entsprechenden Programmen erfolgen. Hier eine Beispielaufnahme mit Focus Bracketing:
Das Bild (etwas gecropt und fürs Web verkleinert) entstand mit dem RF 100 bei ISO 200 und Blende 8 aus ca. 40 cm Entfernung (Frontlinse bis vordere Motivkante). Es wurden insgesamt 100 Aufnahmen erstellt und anschließend via Lightroom und Photoshop zu einem Fokusstapel zusammengefügt. Der Vorgang ist bei genauer Betrachtung nicht ganz fehlerlos, was aber in der Gesamtansicht praktisch nicht auffällt. Das Ergebnis ist dafür quasi eine quasi "unmögliche" Tiefenschärfe, bei dem die linken zwei Drittel des Bildes mit dem Gerät im Fokus sind, der nicht weit dahinter stehende Lautsprecher aber komplett aus dem Fokus ist. Allein die Tiefenschärfe auf das Gerät aus so kurzer Distanz und mit 100 mm Brennweite wäre selbst mit Blende 32 nicht möglich. Vor allem nicht in der Schärfe.
So sähe übrigens eine einzelne Aufnahme des selben Motivs mit Blende 8 aus:
Eine der Besonderheiten des RF 100 ist sein Vergrößerungsfaktor von 1,4x. Viele als „Makro“ bezeichnete Objektive, wie beispielsweise das oben genannte RF 35 mm, schaffen nur 0,5-fache Vergrößerung. Aus meiner Sicht sollten Makroobjektive aber erst ab einem Abbildungsmaßstab von 1:1 so heißen dürfen. Das RF 100 geht hier einen kleinen Schritt weiter. Das ist in der Praxis nicht die Welt, aber ein durchaus sichtbarer Vorteil.
Um den maximalen Abbildungsmaßstab von 1,4:1 nutzen zu können, muss das Motiv allerdings schon sehr nah an die Frontlinse gerückt werden. Die in den technischen Daten angegebene Naheinstellgrenze von 260 mm bezieht sich auf den Motivabstand zur Sensorebene, nicht zur Frontlinse. Bei einer Länge des RF 100 von 147,6 mm (gemessen vom Auflagepunkt am Bajonettring bis zur Vorderkante, ohne Streulichtblende) bedeutet das einen minimalen Motivabstand von 112,4 mm. Mit Streulichtblende sind es noch mal rund 53 mm weniger, also ca. 60 mm Abstand bis zur Frontberührung.
Dank der Brennweite von 100 mm eignet sich das RF 100 für die meisten Makroaufgaben wesentlich besser, als entsprechend kürzere Brennweiten, wenn es darum geht, einen gewissen Abstand zum Motiv einhalten zu können. Natürlich könnte man auch noch längere Makros einsetzen, aber um ca. 100 mm sind ein guter Kompromiss.
Dank seiner ordentlichen Lichtstärke von f/2,8, ist das RF 100 auch ein ausgezeichnetes Portrait-Objektiv oder auch zum Freistellen von Objekten in mittlerem Abstand bestens geeignet. Gerade bei Portraits und anderen beweglichen Motiven machen die exzellenten AF-Funktionen der R5/R6 in Kombination mit dem rasend schnellen und super leisen Autofokus des RF 100 einen ausgezeichneten Job. Selbst bei Makro-Aufnahmen mit sehr geringem Abstand und wenig Licht funktioniert der AF noch ganz ausgezeichnet. Aber gewisse Einschränkungen sind im Ultra-Nahbereich immer einzukalkulieren. Das RF 100 hat hierfür natürlich auch einen Schalter, um den Fokussierbereich einzuschränken (Full, 0,5m-∞ und 0,26-0,5m). Weitere Schalter: "AF On/Off", "Stabilizer On/Off".
Und dann gibt es da noch einen Lock-Switch, um den ominösen „SA Control“-Ring zu arretieren bzw. freizugeben.
Bisher habe ich noch nicht viele Versuche mit der einstellbaren „sphärischen Aberration“ gemacht, aber es läuft wohl auf ein ähnliches Urteil hinaus, wie bei den meisten Testern dieses Objektivs, dass es sich um eine weitgehend überflüssige Funktion handelt, weil die damit erzielbaren Ergebnisse optisch nicht wirklich ansprechend sind. – Geschmacksache.
Hier drei schnelle Versuche. Links mit SA-Einstellung auf maximal Minus, Mitte = SA auf Nullstellung, rechts auf maximal Plus.
Den „verwaschenen“ Look mit starker SA-Veränderung werden wohl nur die wenigsten jemals benötigen. Und wenn, dann lässt sich das in der Nachbearbeitung vermutlich sogar hübscher bewerkstelligen.