Lange Zeit schien es so, als wolle der japanische Kamerahersteller und nach wie vor Marktführer Canon sich dem Trend zu spiegellosen Systemkameras mit Vollformatsensor verweigern und weiter am Konzept der digitalen Klappspiegelkameras (DSLR) festhalten. Erst im Oktober letzten Jahres wagte sich Canon – mit einigen Jahren Verspätung nach Sony – mit der EOS R (
Testbericht) auf den Markt. Nahezu zeitgleich mit Nikon, die ebenfalls zögerten, ihr Geschäft mit DSLR-Vollformatkameras durch ein spiegelloses System zu kannibalisieren.
Doch nun scheint es so, als wäre der Damm bei Canon endgültig gebrochen. Mit relativ kurzem zeitlichen Abstand zur Vorstellung der EOS R bringt Canon nun eine weitere VF-DSLM auf den Markt. Die neue
Canon EOS RP kann als Einsteigermodell für Vollformat angesehen werden und ist mit einem Preis von rund 1.499 Euro (UVP) eine der günstigsten ihrer Art.
Die wichtigsten Daten der EOS RP:- 26,2 MP Vollformat
- Dual Pixel CMOS AF
- DIGIC 8 Prozessor
- Reihenaufnahmen max. 5 B/s, (4 B/s mit Servo-AF)
- AF mit Gesichts- und Augenerkennung
- 4.779 wählbare AF-Positionen
- ISO Empfindlichkeit 100 bis 40.000 (erweitert: ISO 50, 51.200, 102.400)
- OLED-Sucher mit 2,36 Millionen Bildpunkten
- klapp/schwenkbares 3" LC-Touch-Display
- Dual Sensing IS
- 4K Auflösung mit 25 B/s und Full HD mit 60 B/s
- Bluetooth- und WLAN
- mini HDMI und USB (aber nur 2.0!)
- Maße: 132,5 x 85,0 x 70,0 mm
- Gewicht: ca. 440 g (nur Gehäuse), 485 g (mit Karte und Akku)
- Optional mit Kit-Objektiv: RF 24-105 mm F 4 L IS USM
- Optionaler Erweiterungsgriff EG-E1
Die EOS RP ist voraussichtlich ab Ende Februar verfügbar. Preise:- EOS RP Body inkl. Mount Adapter EF-EOS R: 1.499€ UVP
- EOS RP Kit mit RF 24-105 inkl. Mount Adapter EF-EOS R: 2.499€ UVP
- Erweiterungsgriff EG-E1: 79€ UVP
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Die RP gehört zu den kleinsten DSLMs und ist derzeit auch die Leichteste ihrer Art. Als "Einstiegsmodell" kann sie natürlich nicht mit High-End-Features punkten. Aber das ist hier nicht weiter schlimm, denn Hauptsache, sie hat alles Wichtige für gute Fotos an Bord. Und das ist zweifellos der Fall. Schade ist aber trotzdem, dass Canon auch in der EOS RP keinen Sensor-Stabilisator (IBIS) bietet. Dass Canon dieses wichtige Feature aber keineswegs unbeachtet lässt, zeigt ein jüngst bekannt gewordener Canon
Patentantrag für einen IBIS.
Man könnte vermuten, Canon will mit der RP einen ähnlichen Weg gehen, wie 2003 mit der EOS 300D, die als erste digitale SLR (aber mit APS-C-Sensor) für unter 1.000 Euro ein Riesen Verkaufserfolg war. Erst die 300D machte DSLR-Kameras zu einem Massenphänomen. Soll also die RP die 300D für Vollformat werden?
Nun, ganz so wird es wohl nicht kommen. Die EOS RP liegt preislich noch deutlich über der 1.000-Euro-Schallmauer. Ein weiteres Hindernis ist, dass Vollformat-DSLMs mit so hoher Auflösung nach entsprechend hochwertigen Objektiven verlangen, um die Qualität des Sensors anständig ausnutzen zu können. Und solche Objektive kosten viel Geld.
Immerhin kündigte Canon zusammen mit der EOS RP unter anderem auch die Entwicklung des
RF 24-240mm f/4-6.3 IS USM an: Ein Universalobjektiv mit großem Zoombereich, das gerade für Einsteiger und Vielreisende interessant sein dürfte. Allerdings liegt der Fokus der Objektiventwicklung für den RF-Mount derzeit eindeutig stärker auf Spitzenobjektiven.
Canon startete die R-Serie mit dem neuen RF-Objektivanschluss mit vier Objektiven:
- RF 24-105mm f/4 L IS USM – €1.199
- RF 28-70mm f/2 L USM – €3.249
- RF 50mm f/1.2 L USM – €2.499
- RF 35mm f/1.8 Macro IS STM – €549
Also drei L-Serie- und ein Mittelklasse-Objektiv.
Noch im Laufe dieses Jahres sollen
sechs weitere Objektive für RF-Mount auf den Markt kommen:
- RF 15-35mm f/2.8 L IS USM
- RF 24-70mm f/2.8 L IS USM
- RF 70-200mm f/2.8 L IS USM
- RF 24-240mm f/4-6.3 IS USM
- RF 85mm f/1.2 L USM
- RF 85mm f/1.2 L USM DS
Das heißt: fünf weitere High-End-Objektive und nur eines für den Konsumer-Markt. Besonders hervorzuheben ist dabei noch das letztgenannte Objektiv. Das RF 85mm mit dem Zusatz "DS" ist im Gegensatz zum "normalen" RF 85mm f/1.2 mit einer Technologie namens
Defocus Smoothing ausgestattet, die ein besonders gleichmäßiges, gezielt unscharfes Vorder- und Hintergrundbokeh bieten soll. Ich bin gespannt auf den Unterschied – und den Aufpreis. Noch viel bemerkenswerter ist das im Vergleich zu anderen 70-200mm f/2,8 VF-Objektiven
erstaunlich kurze RF 70-200mm f/2.8 L IS USM.
Zwar lassen sich auch alle bisherigen Canon EF-Objektive per Adapter an der RP nutzen – und dafür gibt es sehr viele und auch günstige Objektive – doch bislang ist das native RF-Objektivsortiment eindeutig für anspruchsvolle Nutzer und Profis ausgelegt. Zusammen mit dem als Kit-Objektiv designierten RF 24-105mm f/4 L IS USM liegt der Preis für die EOS RP immerhin bei rund 2.500 Euro. Von daher kann wohl davon ausgegangen werden, dass die RP nicht wirklich als "300D-Nachfolger" gedacht ist, sondern als Mittelklasse DSLM eher in das Revier von DSLRs wie der EOS 6D Mark II passt – die übrigens auch die selbe Sensorauflösung bietet. Der Sensor ist im Wesentlichen identisch, mit Ausnahme von Anpassungen der Microlinsen.
Ein weiteres interessantes Detail zur neuen RP ist, dass Canon dafür optional einen
Erweiterungsgriff (EG-E1) anbietet. Die relativ geringe Höhe des Kameragehäuses könnte nämlich für manche Nutzer zu unergonomisch sein. Etwas mehr Griffhöhe macht die Haltung komfortabler. Dies kann ich beispielsweise für meine Olympus OM-D E-M1 bestätigen, die ich mit einer sauber an die Unterseite angepassten Kameraplatte von Really Right Stuff versehen habe. Damit lässt sich die Kamera sehr viel bequemer halten. Allerdings hat Canons es bei seinem Erweiterungsgriff für die RP leider versäumt, gleich eine Schwalbenschwanz-Nut für Arca-kompatible Stativköpfe zu integrieren. Wäre das denn zu viel verlangt? Aber vermutlich ist der aus Kunststoff gefertigte EG-E1 dafür gar nicht stabil genug. Trotzdem, ein Versäumnis.
Von dieser Einschätzung abgesehen verdient Canon aber großes Lob für den zügigen Ausbau des RF-Angebots. Jedes Einzelne der verfügbaren und angekündigten RF L-Serie-Objektive ist ein absoluter Leckerbissen. Und möglicherweise auch ein klarer Hinweis darauf, was schon einige Zeit durch die Gerüchteküche weht. Demnach wird Canon vermutlich noch in diesem Jahr eine weitere R-Serie-Kamera vorstellen, dann aber im High-End-Bereich. Es wird gemunkelt, Canon könnte dafür einen Sensor mit über 100 MP im Ärmel haben. Spätestens dann wäre der Einsatz von Spitzenobjektive natürlich ein absolutes Muss.
Die EOS RP hat großes Potential zum Verkaufsschlager zu werden. Entgegen der Neigung mancher Prospektdatenjäger, die Qualität einer Sache nur nach dem Umfang ihrer Feature-Liste und den technischen Daten zu beurteilen, muss viel mehr das Gesamtpaket für die angepeilte Zielgruppe stimmen. Und das ist mit der RP der Fall. Für Ein- und Aufsteiger ist die RP ein sehr attraktives Angebot. Aber es fehlen noch ein paar günstige RF-Objektive. Auf Dauer ist es keine Lösung, einen Adapter beizulegen und die Nutzer zum Kauf von EF-Objektiven zu bewegen.