Der japanische Kamera-Hersteller Canon hat sich mit spiegellosen Systemkameras mit Vollformatsensor viel Zeit gelassen. Während andere Hersteller wie Sony schon Jahre auf den Klappspiegel verzichteten, wollte und konnte Canon seine bis dahin im professionellen wie privaten Bereich extrem erfolgreichen Spiegelreflexkameras nicht mit einem neuen System "kanibalisieren". Das änderte sich erst 2018 mit der Vorstellung der EOS R.
Das heißt aber nicht, dass Canon den Mirrorless-Zug in den Jahren davor verpasst oder auch nur für eine Sekunde aus den Augen gelassen hätte. Bereits 2012 stellte Canon die EOS-M vor. Eine spiegellose Systemkamera – aber mit APS-C-Sensor. (Siehe Vorstellung in
Rewind 338.) Die in den Jahren darauf folgenden Kameras mit EOS-M-Mount waren stets sehr fähig und vor allem für Nutzer ideal, die auf ein relativ kompaktes Kamerasystem setzen wollten. Nur hat Canon leider das Objektivsystem nie wirklich ernsthaft ausgebaut und die M-Serie stets als Consumer-Class angesehen. Schon seit ein paar Jahren geisterten daher Spekulationen durchs Web, Canon könne die EOS-M aussterben lassen – und APS-C viellicht gleich mit.
Doch nun wird klar, wohin die Reise geht. Mit den beiden neu vorgestellten Kameras
EOS R7 und
R10 startet Canon einen neuen Anlauf in Sachen APS-C-Sensor. Diesmal kommen die Kameras jedoch in einem sehr viel traditionelleren "SLR-Outfit" daher.
Der wesentliche Punkt dabei ist, dass die neuen APS-C-Kameras auf den RF Bajonett-Anschluss der spiegellosen Vollformat-Serie EOS R aufsetzen. Alle Vollformat-Objektive der R-Serie können ohne Adapter an der R7 und R10 montiert und in vollem Funktionsumfang genutzt werden. Inklusive AF, Ansteuerung des Funktionsrings und Kombination von Objektiv- und Kamera-Bildstabilisator (nur R7). Für millionenfach bereits bei den Verbrauchern vorhandene EF-Objektive aus der Spiegel-Ära liegt den Kameras standardmäßig ein Adapterring bei. – Zumindest vorerst.
Die Canon EOS R7 besitzt ein neuartiges Daumenrad, das um den AF-Joystick positioniert ist (rechtes Bild).
Bei Verwendung von VF-Objektiven muss lediglich ein Crop-Faktor von 1,6 berücksichtigt werden. Eine "Reichweitenverlängerung", die in vielen Situationen sehr gelegen kommt und weswegen APS-C trotz seiner geringeren Sensorgröße sehr geschätzt wird.
Das bedeutet aber auch: Es muss ein neues Objektivsortiment passend für APS-C eingeführt werden. Dafür hat Canon zusammen mit der R7/R10 zwei neue Objektive vorgestellt. Das
RF-S 18-45mm F4.5-6.3 IS STM (entspricht ca. 29-72 mm an Kleinbild) und das
RF-S 18-150mm F3.5-6.3 IS STM (29-240 mm). Beide mit der "-S"-Designation als Hinweis auf den APS-C-Formfaktor. Dabei handelt es sich ganz klar um Entry-Level-Objektive. Wie es scheint, wird Canon auch in Zukunft passend für APS-C nur Einsteigerobjektive anbieten und für höhere Ansprüche darauf setzen, dass die Nutzer VF-Objektive der R-Serie einsetzen. Wer auf ein High-End-Objektivsystem für APC-C á la Fujifilm gehofft hat, wird wohl enttäuscht werden. Es bleibt abzuwarten, welche RF-S-Objektive Canon künftig noch bringen wird.
En interessantes Detail bei den neuen Objektiven ist, wie sich der Tubus vom Bajonett ausgehend verjüngt. Der RF-Mount ist halt viel größer, als das für APS-C eigentlich nötig wäre. Der Vorteil liegt auf der Hand: Direkte Anschluss-Kompatibilität.
Es sieht alles danach aus, dass Canon sein aus der DSLR-Ära bewährtes Konzept der Kamera-Positionierung im Markt wieder aufgreift. Die R7 empfiehlt sich am ehesten für Aufsteiger, private Foto-Enthusiasten oder Profis, die ihr Vollformatsystem um einen APS-C-Body ergänzen vollen. Die R10 ist hingegen klar eine Einsteigerkamera, wie früher die Kiss/Rebel/EOS-100-Serie. (Die regional unterschiedliche Namensgebung ist damit wohl auch Geschichte.)
Das zeigt sich auch im Funktionsumfang. Während die R7 etwas größer ist und viele Features der R5/R6 erbt, ist die R10 funktional deutlich limitierter und verzichtet auch auf einen In-Body-IS. Selbst das Gehäusedesign spiegelt diesen Ansatz wider. Die R10 ist deutlich kleiner, leichter und kommt ohne Wetter-Versiegelung aus. Diese Kamera wird in den meisten Fällen wohl nur mit einem RF-S Kit-Objektiv zusammen verkauft und genutzt.
Die technischen Daten geraten dabei fast schon ein wenig in den Hintergrund. Hier eine einfache Übersicht der Hauptmerkmale von Canon zu den neuen Kameras und Objektiven:
Bei einem genaueren Studium sämtlicher Daten fällt auf, dass beide Kameras einen ziemlich flotten mechanischen Verschluss besitzen. Sowohl die R7 als auch die R10 schaffen damit bis zu 15 Bilder/s. Mit elektronischem Verschluss sind es 23 bzw. 30 B/s. Allerdings ist der Buffer vor allem in der R10 nicht sehr groß und reicht im schlechtesten Fall nur für ca. 1-2 Sekunden Dauerfeuer mit C-RAW. Die R10 hat eine kürzeste Belichtungszeit (mit mechanischem Verschluss) von 1/4000s, die R7 1/8000s. Bei der R7 schließt sich, wie bei den größeren Modellen, während des Objektivwechsels der mechanische Verschluss, um keinen Staub auf den Sensor kommen zu lassen. Warum dieses Feature bei der R10 fehlt, weiß nur Canon. Das müffelt nach einer reinen Softwarebeschränkung.
Die R7 und R10 bieten dabei viele der ergonomischen Vorteile ihrer Vollformat-Geschwister. Einschließlich Joystick für AF-Positionierung und diverse Einstellräder. Die R7 sticht mit einem bisher nicht gesehen Ansatz heraus und bietet statt Daumenrad auf der rechten Schulter ein um den AF-Stick gelegtes Drehrad. Einige Tester hatten die Kameras schon in den Händen und kamen hierbei zu unterschiedlichen Meinungen. Manche liebten es, andere fanden es weniger toll.
DPReview hat die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der R7 und R10 genau aufgedröselt.
Fazit – Ein neuer, alter AnsatzCanon wird mit den neuen APS-C-Kameras R7 und R10 seinem Ruf einer eher vorsichtigen und konservativen Entwicklungsstrategie zu folgen, durchaus gerecht. Experimente in Sachen Design und extravaganten Features sind – abgesehen vielleicht von dem Daumenrad der R7 – nicht zu finden. Der Hersteller bleibt seinen alten Erfolgsrezepten treu, die ihnen viele Jahre Marktführerschaft eingebracht haben. Das ist einerseits nachvollziehbar, andererseits für diejenigen, die auf etwas mehr WOW-Faktor gehofft hatten, etwas enttäuschend.
Noch was? Ach ja. Die Preise:
- EOS R7 Body: 1499 Euro
- EOS R7 Kit mit RF-S 18-150mm F3.5-6.3 IS STM: 1889 Euro
- EOS R10 Body: 979 Euro
- EOS R10 Kit mit RF-S 18-45mm F4.5-6.3 IS STM: 1099 Euro
- EOS R10 Kit mit RF-S 18-150mm F3.5-6.3 IS STM: 1369 Euro
- RF-S 18-45mm F4.5-6.3 IS STM: 349 Euro
- RF-S 18-150mm F3.5-6.3 IS STM: 549 Euro
Die R7 und die neuen Objektive sollen ab Juni verfügbar sein, die R10 ab Juli.
Sämtliche technische Daten finden Sie auf der jeweiligen Produktseite für die
R7 bzw.
R10.