Lang hat's gedauert. Während die anderen großen Kamerahersteller ihre Spitzenmodelle längst auf ein spiegelloses Konzept umgestellt haben, mussten Profis und ambitionierte Amateure auf die neueste Generation der Canon EOS 1 Jahre warten. Erstmals hat die Profikamera jetzt ein "R" in der Modellbezeichnung. Die EOS R1 ist damit endlich auf den RF-Objektivanschluss des Herstellers umgestellt und kommt nun ebenfalls, wie alle anderen R-Modelle, ohne Klappspiegel aus. Die lange Wartezeit hat die Erwartungen entsprechend hoch geschraubt.
Anders bei der zweiten Neuheit. Die EOS R5, ihrerseits bereits im Jahr 2020 auf RF-Mount ohne Spiegel umgestellt, erhält einen Nachfolger mit der Canon-typischen Ergänzung der Typenbezeichnung "Mark II". Auch dieses Modell hat länger auf sich warten lassen, als in Canons Modellzyklus üblich.
Am grundsätzlichen Design hat sich in beiden Fällen nicht viel geändert. Natürlich wurden die Kameras äußerlich "feinpoliert" und die Ergonomie durch neue und geänderte Bedienelemente optimiert. Doch ein revolutionäres Neudesign blieb aus. Bleibt die Frage, ob Canon sich in Sachen Technologie und Leistung mit den Neuheiten wieder an die Spitzenposition im Markt setzen kann. Die Konkurrenz hat die Messlatte sehr hoch gesetzt. So glänzt beispielsweise die
Sony a9 III mit den ersten "Global Shutter"-Bildsensor (24 Megapixel) und die
Nikon Z9 (45,7MP Stacked CMOS Sensor) verzichtet erstmals komplett auf einen mechanischen Verschluss. Was haben die Canon-Neuheiten an Innovationen zu bieten?
Der Hersteller nutzte zur Vorstellung der beiden Kamera-Neuheiten übrigens eine Video-Präsentation, die 1:1 von Apple abgekupfert war. Ein Haupt-Gastgeber (quasi der Cook-Part) übernahm die Anmoderation und verriet, worum es geht und gab dann an Mitarbeiter weiter, die Details zu den Neuheiten erklärten. Bis hin zu den Überblendungen in verschiedene Räume entsprach das Konzept dem von Apple. Nur mit nicht ganz so perfekt kontrollierten Umgebungsbedingungen. – Und nur 20 Minuten lang.
Hier die Video-Vorstellung in voller Länge:
Canon EOS R1 – Das Topmodell jetzt erstmals (endlich) ohne KlappspiegelZu den Hauptmerkmalen der neuen und rund 7.500 Euro teuren Canon EOS R1, die sich primär an Sport- und Action-Fotografen wendet, und die weiterhin mit einem fest integrierten Portrait/Akku-Griff ausgestattet ist, gehört ein komplett neu entwickelter 24,2-MP BSI Stacked CMOS Bildsensor. Aber das ist natürlich nur eines von vielen Merkmalen. Die wichtigsten sind:
- 100% AF-Bildfeldabdeckung mit Kreuz-Typ-Sensoren
- Bis zu 40fps Serienbildgeschwindigkeit mit unterbrechungsfreiem Sucher (JPEG+RAW)
- Pre-capture für Photo und Video (1/2s für Fotos, 3 oder 5s für Video)
- Verbesserter Eye-controlled AF aus der EOS R3
- Activity AF Modus trainiert auf bestimmte Sportarten
- AF-Priorität auf registrierte Personen
- Blur/out-of-focus Bilderkennung
- In-Kamera Bildverarbeitung mit Neural Network Rauschunterdrückung (RAW zu JPEG)
- In-Kamera Bildverarbeitung mit KI-Upscaling (JPEG)
- 6K/60p interne RAW-Video-Aufzeichnung
- DCI-4K Aufnahme bis zu 120fps
- Canon S-Log2 Gamma-Profil
Besonders bemerkenswert sind die neuen KI-Features, wobei Canon den Begriff KI bzw. AI aber nie in den Mund nahm und lediglich von Machine Learning und Neural Network Computing sprach. Die neuen Techniken ermöglichen es beispielsweise, ein Foto noch in der Kamera mit ML-Technologien in höchster Qualität von 24 auf 96 MP hoch zu skalieren. Auf eine "mechanische" Pixel-Shift-Funktion, wie von anderen Herstellern genutzt, soll damit verzichtet werden können. Und zwar insbesondere auch im Hinblick auf schnell bewegte Motive, die sich mit der Pixel-Shift-Methode nicht einfangen lassen. Auch eine Kamera-interne Funktion zum KI-basierten Entrauschen von Bildern ist integriert.
Der AF wurde massiv aufgebohrt und soll nun so zuverlässig wie nie zuvor auf dem Motiv haften, auch wenn dieses in schneller Bewegung ist. Mittels einer neuen Funktion können Personen (z. B. Spieler auf dem Feld) vorab mittels einer Aufnahme registriert und priorisiert werden. Damit kann der AF noch besser auf die gewünschte Person festgenagelt werden, ohne von anderen Personen, die sich durchs Bild bewegen, "abgefangen" zu werden. (Erklärungsversuche in meinen Worten, um Marketingbegriffe zu vermeiden.) Dass die R1 auch eine (verbesserte) Eye-controlled AF-Funktion wie die R3 besitzt, ist da fast schon Nebensache.
Auch bei den Video-Features und der Connectivity wurde ordentlich draufgesattelt. So unterstützt die R1 beispielsweise 6K/60p interne RAW Video-Aufzeichnung und wurde mit einem neuen Canon S-Log2 Gamma-Profil ausgestattet. Für Datenübertragung verfügt die R1 über schnelles WLAN 6E, sowie einen RJ45 LAN-Port mit 2,5 Gbps.
Weitere Informationen zur
Canon EOS R1 finden Sie auf der Produktseite. Die Kamera (nur Body) soll voraussichtlich im November zum Preis von 7.499 Euro in den Verkauf gehen. Trotz des hohen Preises dürfte es sinnvoll sein, seinen Hut rechtzeitig in den Ring zu werfen. Die verfügbaren Stückzahlen dürften gering sein.
Canon EOS R5 Mark II – Viele Merkmale der R1, aber mit 45 MPDie vielleicht noch viel spannendere Kamera-Neuvorstellung – weil noch vielseitiger einsetzbar – ist die EOS R5 Mark II. Die übernimmt nämlich zahlreiche Features aus der R1, ist zwar etwas langsamer, hat dafür aber einen 45,2 MP BSI Stacked CMOS Sensor. Die Key-Features der R5 Mark II sind daher nicht minder beeindruckend. Hier ein paar davon:
- 45MP BSI Stacked CMOS Sensor
- Verbesserter Eye-controlled AF aus der EOS R3
- Bis zu 30fps Serienbildgeschwindigkeit mit unterbrechungsfreiem Sucher
- Sensor-Stabilisator mit bis zu 8,5EV Wackelausgleich
- Pre-burst capture (JPEG)
- 8K RAW Video Aufzeichnung mit bis zu 60p
- Canon C-Log2 Profil
- Waveforms und Falschfarben-Display
- AF trainiert durch Machine Learning für bestimmte Sportarten
- KI-verbesserte nachträgliche In-Kamera Rauschreduzierung (RAW zu JPEG) und Upscaling (JPEG)
- 1x CFexpress Type B, 1x UHS-II SD
Die R5 Mark II mag zwar ein wenig langsamer und nicht ganz so ultra-solide wie die R1 gefertigt sein, doch sie bietet aufgrund ihres Sensors teilweise sogar die besseren Features. Wie etwa die Möglichkeit, Bilder in der Kamera per ML-Funktion wie die R1 entrauschen zu können, hier aber sogar auf etwa 180 MP hoch skalieren zu können. Wie gut die Skalierung, die nur wenige Sekunden dauern soll, in der Praxis tatsächlich funktioniert, bleibt abzuwarten.
Für die R5 II wird es außerdem drei optionale Handgriffe geben. Darunter zwei Akkugriffe (einer mit 2,5G LAN-Port) und einen mit Lüfter für Video-Anwendungen, aber ohne zusätzliche Bedienelemente. Die Kamera und die Zubehöre sollen voraussichtlich im August in den Handel kommen. Der Preis der
Canon EOS 5D Mark II liegt bei 4.799 Euro.
Hier noch eine Gegenüberstellung der Hauptmerkmale von Canon:
Kommentar: Canon bleibt sich treu – im Guten wie im SchlechtenIch bin hin und her gerissen. Die Canon-Neuvorstellungen EOS R1 und R5 Mark II sind einerseits beeindruckende Kameras, wobei die R1 eher eine kleine Zielgruppe (Sportfotografen, Journalisten) anspricht, die R5 II hingegen ein echter Alleskönner ist. Technologisch hat Canon damit wieder Anschluss an die Weltspitze gefunden. Aber eben nur Anschluss. Keinen Vorsprung.
Weder bieten die Kameras neue Technologien wie Sony mit der a9 III und ihrem Global-Shutter-Sensor, noch hauen die neu eingeführten KI-gestützten Funktionen wirklich vom Hocker. Eine Kamera-interne Bildskalierung und Entrauschung mag ja nett sein, aber das ist nichts, was man nicht auch im Post-Processing machen könnte. Auf der Suche nach echten Alleinstellungsmerkmalen fällt mir lediglich der Eye-controled AF ein, der aber schon mit der R3 eingeführt wurde.
Die neuen Canon-Sensoren sollen, ersten Analysen zufolge, zwar vor allem in der R1 eine sehr schnelle Auslesegeschwindigkeit bieten, aber der höher auflösende Sensor der R5 II kann diesbezüglich wohl nicht an seinen Hauptkonkurrenten Nikon Z8 heran reichen. Also auch hier kein Vorsprung.
Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Die Kameras sind nach allem, was mir bisher darüber bekannt ist, offenbar hervorragend leistungsstark und ausgewogen. Doch am Ende steht da immer ein Preisschild. Und das fällt sowohl bei der R1, als auch der R5 II spürbar höher als bei der jeweiligen Konkurrenz aus. Ohne dafür einen durchschlagenden Mehrwert in der Sensortechnologie zu bieten. Das macht schon nachdenklich.
Wer sowieso schon in das R-System investiert hat und einen Um- oder Aufstieg innerhalb der Serie geplant hat, dürfte mit den Neuheiten bestens bedient sein. Wechselwillige Nutzer oder Neueinsteiger wird Canon damit aber kaum anlocken.