iPad Pro 2018 – Leistung und PraxisSorry, keine Benchmark-Messwerte an dieser Stelle. Ich möchte nicht der Tausendste sein, der mittels einschlägiger Testsoftware feststellt, dass das neue iPad Pro beeindruckend hohe Leistungswerte in allen Bereichen bietet. Das wissen wir eh schon alle, oder? Stattdessen möchte ich lieber den praktischen Wert der tollen Rechenleistung mit iOS in der Praxis abwägen.
Apple preist das iPad mehr und mehr als „vollwertigen“ Computer an (
siehe hier), mit dem man alles machen kann, wofür sonst ein Notebook-Computer vonnöten war. Rein leistungstechnisch betrachtet, mag das auch zutreffen, aber iOS ist nach wie vor ein Hemmschuh.
Wessen Anwendungen
exakt zu den Funktionsprinzipien von Tablets und iOS passen, der kann tatsächlich auf einen herkömmlichen Computer verzichten. Es gibt mit Sicherheit Anwender, die keinen anderen Computer als das iPad mehr benötigen. Aber dies dürfte nach wie vor eine kleine Minderheit sein. Mac-User können vieles hingegen nicht komplett auf ein iPad verlagern. Beispielsweise kann ich keine Layouts mit InDesign oder künftig Affinity Publisher auf dem Tablet erstellen. Und selbst wenn es diese Anwendungen auf dem iPad gäbe, ist fraglich, wie komfortabel das mit Finger- oder Stiftbedienung zu bewerkstelligen ist – selbst wenn ich das iPad an einem großen Monitor anschließe. Zugegeben, da mag einfach meine jahrzehntelange Gewöhnung an die Maus eine Rolle spielen, aber tatsächlich ist iOS in vielen Dingen einfach viel zu beschränkt, um einen ernsthaften Mac-Ersatz abgeben zu können.
Das fängt schon mit solchen Kleinigkeiten wie der Markierung von Textpassagen an, oder dass man als falsch deklarierte, aber richtig geschriebene Worte nicht dem Wörterbuch hinzufügen kann, Text in Notizen nicht durchsuchen, Worte oder Textpassagen nicht verlinken kann, Fenster nicht frei skalieren und positionieren kann, nicht mehrere Dokumente parallel in einem Programm bearbeiten kann… etc. pp. … und endet spätestens bei den extrem eingeschränkten Möglichkeiten zur Dateiverwaltung, sowie den limitierten Möglichkeiten zur Verwendung von Massenspeichern. Vieles mag
irgendwie auch mit iOS möglich sein, aber meistens läuft es auf umständliche Bedienung oder komplizierte Workarounds hinaus – oder die iCloud.
Oder nehmen wir nur mal die Bildschirmtastatur. Dort gibt es fast keine der vom Mac gewohnten Tastenkombinationen. Einige sind über externe Keyboards verfügbar, aber eben nicht beim Tippen am Display. Ja nicht mal eine „⌦“-Taste (nach rechts löschen) gibt es. Geschweige denn ein mehrstufiges Undo.
Aus diesen und vielen anderen Gründen ist das iPad für mich nach wie vor nur ein „Assistenzcomputer“. Eine in manchem Punkten sehr komfortable Ergänzung zum Mac. Aber der weitaus größte Teil meiner produktiven Arbeit erfolgt aus gutem Grund am Mac. Dass sich daran in absehbarer Zeit durch das iPad etwas ändert, ist nicht abzusehen.
Ich will damit nicht die Forderung mancher User unterstützen, die sich eine Mausbedienung für iOS wünschen. Das halte ich für ebensowenig sinnvoll, wie eine Touch-Bedienung für macOS. Aber genau da liegt das Problem für Apple: macOS und iOS so zusammenwachsen zu lassen, dass sich keine Kompromisse daraus ergeben, wird noch ein sehr, sehr langer Prozess sein. Gut möglich, dass sich für alle derzeit vorhandenen Hürden irgendwann gute Lösungen finden. Ich kann mir das in vielen Bereichen nur leider nicht vorstellen, aber es ist ja auch nicht meine Aufgabe, Apples Hausaufgaben zu erledigen.
Um der Stagnation des Tablet-Marktes etwas entgegen zu setzen, reicht es daher meiner Meinung nach nicht aus, die Leistung der Tablets immer weiter auf Mac-Niveau oder darüber hinaus zu steigern und den Leuten dies als den „Computer der Zukunft“ verkaufen zu wollen. Solange iOS die Möglichkeiten der User so sehr beschränkt oder ihnen andere, teils umständliche(re) Bedienung aufzwingt, ist diese Vermarktungsstrategie eine Sackgasse.
Was bedeutet das für die Praxis?Für mich ist der Performance-Gewinn gegenüber dem 9,7“ iPad Pro nur in manchen Bereichen spürbar. Der Webseitenaufbau erfolgt deutlich schneller. Fast so, wie auf dem iMac Pro. Bei einigen Spielen wirkt die Grafik merklich flüssiger. Ansonsten dürfte der Leistungszuwachs wohl nur dann von bedeutung sein, wenn man entsprechend anspruchsvolle Anwendungen (zum Beispiel mit Augmented Reality oder Bild/Videobearbeitung) nutzt.
Jeder potentielle iPad-Kunde sollte sich sehr genau überlegen, wofür er ein iPad einsetzen möchte und ob die Anforderungen besser mit dem Tablet oder einem macOS-Device zu bewerkstelligen sind. Verlassen Sie sich nicht blind auf Apples Behauptungen, mit dem iPad alles machen zu können, was man auch mit einem normalen Notebook machen kann. Das gilt längst nicht für alle Anwendungsszenarien.
Leistung, Funktion, Portabilität und Verarbeitung sind nichtsdestotrotz maßstabsetzend für den gesamten Tablet-Markt.