Im Internet wird gerne zynisch kommentiert. So auch nach dem diesjährigen WWDC-Keynote-Video, in dem Apple seine künftigen Pläne mit Künstlicher Intelligenz (KI, oder englisch AI, Artificial Intelligence) offenbarte und erste Anwendungen zeigte, die in den kommenden OS-Versionen des Herstellers Einzug halten. Viele Nutzer beschränkten sich auf höhnische, abwertende, aber auch enttäuschte Aussagen, bis hin zu Untergangsprophezeiungen für den Konzern. Fast, als hätte Apple KI allein zur Erzeugung von Emojis geschaffen. Doch wer die Keynote aufmerksam (und unvoreingenommen) verfolgt hat, kommt sicher zu einem ausgewogeneren Urteil.
Kernpunkte der Apple KI-Strategie unter dem Namen „Apple Intelligence“ sind (u. a.) die tiefe Systemintegration, mit der KI-Features auf verschiedene Weise direkt in den meisten Programmen genutzt werden können, wie die systemweiten Writing Tools, die in iOS 18, iPadOS 18 und macOS Sequoia integriert sein werden. Außerdem, dass diese weitestgehend „on Device“, also Offline und ohne Verschicken der Daten über das Internet genutzt werden können. Vor allem, wenn es um die Verarbeitung von persönlichem Kontext geht. Privatsphäre und Sicherheit ist ein Kernelement, das gerade bei KI von immenser Bedeutung ist. (Siehe dazu auch
diesen Artikel mit mehr Hintergründen zu Apples KI-Modell.)
Dank der künftigen Zusammenarbeit mit Open AI's ChatGPT wird es aber
auch möglich sein, bestimmte Aufgaben auf externen Servern und mittels ChatGPT bearbeiten zu lassen. Dafür wird keine Registrierung bei ChatGPT nötig sein und auch in diesem Fall werden große (nachprüfbare) Anstrengungen unternommen, die Privatsphäre der Nutzer nicht zu beeinträchtigen. Außerdem gehen Anfragen an ChatGPT nur nach Zustimmung des Nutzers raus.
Der Erklärungsbedarf ist großApple steht noch viel Aufklärungsarbeit bevor. So zeigen nicht nur viele Nutzerkommentare, sondern auch die Berichterstattung in diversen Tagesmedien, dass das in der Keynote ziemlich genau erklärte Konzept längst nicht von jedem verstanden wurde. Beispielsweise berichtete eine bekannte norddeutsche Tageszeitung reißerisch, „Apple liegt bei KI zurück – und setzt auf Kooperation statt eigene Entwicklung“. Der Artikel stellt es so dar, dass Apples KI ausschließlich auf ChatGPT basiere und erwähnt mit keinem Wort, dass darauf nur in bestimmten Situationen und nach Zustimmung des Nutzers zugegriffen wird, während die meisten Anfragen und Funktionen On-Device oder über Apples eigenes Private Cloude Compute verarbeitet werden – nicht über ChatGPT. Das Blatt schrieb: „Der Schritt ist bemerkenswert, weil Apple eigentlich großen Wert auf Datenschutz legt und dies auch offensiv als Alleinstellungsmerkmal vermarktet. Mit der neuen Kooperation werden Daten in großen Mengen in Richtung ChatGPT abfließen.“
Solche und ähnliche irreführende bis völlig falsche Aussagen machen deutlich, dass Apple noch viel Öffentlichkeitsarbeit bevorsteht. Auch muss erst die Praxis zeigen, wie gut Apple die Integration der KI-Features in das Betriebssystem gelungen ist. Beispielsweise, in wie weit Siri in der Lage sein wird, auf Fragen und Nachfragen mit Kontext rein lokal zu reagieren, und ab wann das System versucht, diese nach außen an Private Cloud Compute oder an ChatGPT weiterzugeben.
Mehr „Intelligenz“Natürlich muss erst noch abgewartet werden, wie gut die verschiedenen KI-Funktionen tatsächlich ins System integriert wurden und wie clever diese tatsächlich sind. Zumal das Warten für uns in vielen Fällen noch
länger als bis zum Herbst dauern wird. Doch es gibt gute Gründe anzunehmen, dass vor allem die zuvor schon genannten Writing Tools eine erhebliche Erleichterung für die schriftliche Kommunikation im Allgemeinen sein dürften.
Beispiel „Umformulieren“ (Rewrite). Ich kenne es aus meinen Alltag: Beim Schreiben von Texten und dem anschließenden Durchlesen gefallen vielleicht der Satzaufbau und die Formulierungen nicht so, wie gedacht. Mit der KI-gestützten Funktion zum Umformulieren (in unterschiedlichem Tonfall und mit mehreren Vorschlägen) könnte viel Zeit gespart werden. Ebenso wie mit „Proofread“. Das überprüft Grammatik, Wortwahl und Satzbau und macht Bearbeitungsvorschläge − mit Erklärungen −, die einfach akzeptiert werden können. Mit „Summarize“ können zudem Zusammenfassungen längerer Texte automatisch generiert werden. Alles direkt in Programmen wie Mail, oder Notizen.
Das hört sich nach wirklich nützlichen Funktionen an, die die Art und Weise, wie wir über Jahrzehnte an Computern gearbeitet haben, grundlegend verändern oder zumindest vereinfachen könnten. Aber es wirft auch Fragen auf, die noch zu klären sind.
Ein Beispiel: Autoren müssen unter gewissen Umständen ihre verbindliche Bestätigung dafür abgeben, dass Texte nicht mit Hilfe von KI erstellt wurden. Aber gilt das auch für von der KI lediglich umformulierte Absätze? Und wer will/kann das kontrollieren? Bei Funktionen wie Summarize muss sich erst zeigen, wie genau diese den Kern der Aussagen in längeren Texten zusammenfassen und ob dabei nicht wichtige Punkte übersehen werden, was bei allzu eiligen Nutzern, die sich auf die Funktion verlassen, zu falschen Schlüssen führen könnte. Die mit KI-Funktionen einher gehenden Implikationen sind wirklich umfassend und werden uns sicher noch lange beschäftigen.
Es sollte auch jedem klar sein, dass die kommenden Apple-OS-Versionen nur den Anfang einer Entwicklung darstellen. In einigen Jahren werden wir das Erscheinen von iOS/iPadOS 18, macOS Sequoia möglicherweise als Wendepunkt und Beginn einer neuen Ära einstufen. Der Moment, als sich unser Umgang mit Computern und Smart-Devices von Apple so grundlegend geändert hat, wie zuvor höchstens mit der Einführung von Mac OS X. Kaum abzusehen, welche Möglichkeiten sich in vielleicht zehn Jahren bieten. Vorausgesetzt das Entwicklungstempo für LLMs und andere KI-Technologien bleibt so hoch.
So oder so: es wird eine spannende Zeit des Umbruchs, in der es noch viel zu entdecken gibt.