Einschätzung: iPadOS 16 bringt die Harmonisierung von Macs und iPads einen großen Schritt voran
Die Frage taucht seit Jahren immer wieder auf: Kann man ein iPad als
vollwertigen Notebook-Ersatz verwenden? Die Antwort darauf musste stets sehr vage ausfallen. Ein entschlossenes „Jein“, sozusagen. Stets hing es von der Art der Aufgabenstellung und der Ansprüche an die Funktionalität ab. Je größer der Anforderungskatalog wurde, desto eher lautete das Ergebnis dann: Kauf Dir lieber ein MacBook.
Auch wenn die Leistung der Hardware bis hin zum rasend schnellen M1-Chip im aktuellen iPadPro kaum noch ein limitierender Faktor ist, erweist sich das derzeitige iPadOS als schlicht zu sehr eingeschränkt. Dabei sind es oft nur vermeintlich kleine Dinge, die einem die Arbeit verleiden. Um nur kleine Beispiele zu nennen: Texte lassen sich in der Notizen-App auf dem iPad nicht genau so bearbeiten, wie auf dem Mac. Soll ein Wort dem Wörterbuch hinzugefügt werden, geht das nicht. Ebenso wenig lassen sich Worte oder Textpassagen auf dem iPad mit Hyperlinks verknüpfen (auf dem Mac cmd-k und dann den Link einfügen). Auch dann nicht, wenn eine Tastatur mit dem iPad verbunden ist.
Darüber hinaus war es bislang ziemlich mühsam, auf dem iPad mit mehreren Programmen gleichzeitig zu arbeiten und dabei den Überblick zu behalten. Das liegt nicht nur an dem relativ kleinen Bildschirm, sondern auch an der fehlenden Fensterverwaltung. Apps laufen nur im Full-Screen oder im Split-Screen. Frei schwebende, sich überlappende und skalierbare Fenster, wie in Desktop-Betriebssystemen seit den Achtziger Jahren üblich, waren daher seit vielen Jahren auf der Wunschliste vieler iPad-User.
Zugegeben: Apple hatte gute Gründe, bei der Entwicklung von iOS und dem später daraus ausgegliederten iPadOS nicht einfach eine macOS (oder OS X) -Kopie zu nutzen, obwohl diese technisch auf OS X/macOS basieren. Es machte einfach keinen Sinn, ein rein Touch-Basiertes Interface mit den selben Steuerelementen wie ein Maus-basiertes OS auszustatten. Der Erfolg von Apples iDevices gab der Strategie recht, hier klare Grenzen zu ziehen.
Doch leider sind es genau diese Grenzen, die es heute erschweren, die angestrebte Harmonisierung der Apple Betriebssysteme voran zu treiben. Schritt-für-Schritt weicht Apple diese Grenzen langsam auf. Die immer umfangreicher werdenden Continuity-Features, von einfachen Copy&Paste zischen verschiedenen Devices, bis hin zu der am vergangenen Montag auf der WWDC vorgestellten Continuity Camera zur Nutzung des iPhones als Webcam auf anderen Geräten, ist nur ein Teil der Strategie.
Mit der für iOS 16 und macOS 13 geplanten Einführung der Funktion Stage Manager wird auch die Benutzeroberfläche von Mac und iPad weiter aneinander angeglichen. Zusätzlich erhält das iPad endlich schwebende, überlappende Fenster, die sich sogar in der Größe verändern lassen. – Ein großer Schritt!
Das iPad als vollwertiger Notebook-Ersatz?Ob auch die weiter oben genannten Funktionseinschränkungen in bestimmten Apps mit iPadOS 16 endlich der Vergangenheit angehören, ist derzeit noch nicht ganz klar. Fest steht aber, dass sich das iPad in Kombination mit Tastatur und Maus (plus bei Bedarf externem Bildschirm) künftig noch besser als professionelles Arbeitstool wird einsetzen lassen.
Zahlreiche weitere Verbesserungen, wie ein vergrößerter Funktionsumfang der Dateien-App, tragen dazu bei, die Grenzen zwischen den Systemen weiter aufzuweichen. Ein Aussterben des MacBooks, insbesondere des besonders leichten und kompakten Air, ist damit aber noch nicht in Sicht. Echte Parität zwischen iPad- und macOS in Sachen Funktionsumfang ist damit längst noch nicht gegeben. – Und wird es vermutlich auch nie geben, solange der Mac nicht die Touch-Features der iDevices erbt und iDevices keinen willkürlich erscheinenden Funktionseinschränkungen mehr unterliegen.
Auch in Zukunft dürfte damit die Frage, welche Hardware die bessere für die gewünschte Anwendungsart ist, nicht seltener werden. Doch die Antwort wird künftig noch häufiger zugunsten des iPads ausfallen. Apples „Harmonisierungsprozess“ der Betriebssysteme dauert aber weiter an. Ein großer Haken an der Sache ist leider, dass ausgerechnet die Funktion Stage Manager nur mit dem iPad Pro 12,9" der fünften Generation (2021), iPad Pro 11" der dritten Generation (2021) und dem iPad Air der fünften Generation (2022) kompatibel ist. Siehe dazu auch die ergänzenden Artikel unten.