Europäischer Gerichtshof stoppt Vorratsdatenspeicherung – was das Urteil bedeutet
Das Thema Vorratsdatenspeicherung erregt seit Jahren in Deutschland und anderen EU-Staaten die Gemüter. Während viele Strafverfolger und Innenminister dieses Instrument für erforderlich halten, um Schwerkriminellen das Handwerk zu legen, sehen Datenschützer und auch etliche Verfassungsrechtler die Freiheit der Bürger in Gefahr. 2015 verabschiedete der Deutsche Bundestag das bislang jüngste Gesetz, mit dem Provider verpflichtet wurden, die Standort- und Verkehrsdaten sowie IP-Adressen aller Kunden zu speichern und wochenlang aufzubewahren.
Vorratsdatenspeicherung nicht im Einklang mit EU-RechtDie Regelung trat zwar in Kraft, lag allerdings bislang auf Eis, unter anderem weil zwei Provider dagegen geklagt hatten. Das zuständige Bundesverwaltungsgericht legte den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor und bat ihn um Klärung der Frage, ob das deutsche Gesetz im Einklang mit dem Unionsrecht stehe. Das ist nicht der Fall, entschieden die Richter in Luxemburg. Die allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten sei daher unzulässig, heißt es in dem am 20. September ergangenen Urteil unter dem Aktenzeichen C-793/19. Das höchste europäische Gericht bestätigte damit einer eigenen Pressemitteilung (
PDF-Datei) zufolge seine bisherige Rechtsprechung, welche in der Vergangenheit bereits in mehreren ähnlichen Verfahren zum Ausdruck kam.
Ausnahmen im Fall einer Bedrohung der nationalen SicherheitDas jetzt ergangene Urteil bedeutet allerdings nicht, dass eine Vorratsdatenspeicherung gänzlich und in jedem Fall unzulässig ist. Der EuGH ließ nämlich eine Ausnahme zu, bei welcher dieses Mittel eingesetzt werden kann. Wenn sich der Staat einer ernsten Bedrohung für die nationale Sicherheit gegenübersehe, könne er per Gesetz eine gezielte anlassbezogene Vorratsdatenspeicherung vorsehen. Gleiches gilt für die Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit und die Bekämpfung schwerer Kriminalität. Mit letzterem sind laut einem früheren Urteil des EuGH Straftaten gemeint, die über Mord hinausgehen. In allen diesen Fällen muss die Verpflichtung der Provider zur Vorratsdatenspeicherung aber anhand von objektiven und nicht-diskriminierenden Kriterien und Kategorien betroffener Personen oder mittels eines geografischen Kriteriums eingegrenzt werden. Zudem darf die Maßnahme nur während eines befristeten Zeitraums angeordnet werden, sie ist von einem Gericht oder einer unabhängigen Verwaltungsstelle zu kontrollieren.
Regierung könnte neues Gesetz vorlegenDer Fall liegt nach dem EuGH-Urteil jetzt wieder beim Bundesgerichtshof. Dieser wird dann der deutschen Vorratsdatenspeicherung in ihrer jetzigen Form einen Riegel vorschieben. Das heißt allerdings nicht, dass das Instrument völlig aus der Welt ist und Datenschützer sowie Privatsphäre-Aktivisten frohlocken können. Angesichts jüngster Äußerungen etwa von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) steht zu erwarten, dass die Regierung einen neuen, dann allerdings hoffentlich endlich europarechtskonformen Gesetzentwurf vorlegen wird. Wie dieser letztlich aussieht, bleibt allerdings abzuwarten. Mit FDP und Bündnis 90/Die Grünen stehen nämlich gleich zwei Koalitionspartner der Vorratsdatenspeicherung skeptisch bis ablehnend gegenüber.