Fotografie-Experte erklärt stärkere Glättung von Apples neuem Kamerasystem
Fachmann Sebastiaan de With, Entwickler der manuellen Fotografie-App "Halide", hat das Kamerasystem der Xs-Serie einer gründlichen Prüfung unterzogen. In seinem umfassenden Bericht gibt er einen Überblick über computergestützte Fotografie und
erklärt die eingesetzten Techniken in den neuen iPhone-Modellen en detail. Er kommt zum Schluss, dass es kein "Beautygate" gibt, sondern die Xs-iPhones nur anders Fotos schießen.
Hardware contra SoftwareDe With hatte schon zuvor einen langen Text über die Hardware-Veränderungen
geschrieben, in der unter anderem auf veränderte Brennweite, ISO-Spanne und den größeren Sensor eingeht. Es beginnt seine neue Betrachtung jedoch damit, dass die stärksten Veränderungen des Systems auf der Software-Seite liegen: "Die größte Veränderung ist die Abhängigkeit von computergestützter Fotografie."
Gegen die Gesetze der PhysikComputergestützte Fotografie definiert de With als den Prozess, physikalische Gesetze zu umgehen, indem man leistungsstarke Chips unterschiedliche Aufnahmen machen und über Algorithmen die besten zusammenfügen lässt. Ein iPhone Xs funktioniere genau so: Es knipse noch bevor der Nutzer den Auslöseknopf gedrückt hat, eine Menge unter- und überbelichteter, schneller und langsamerer Aufnahmen und verschmelze die besten Teile zu einem Foto. Das mache das System so leistungfähig bei gemischtem Licht oder starkem Kontrast.
Glättung: Es gibt keinen Beauty-FilterMit der stärkeren Ausrichtung auf Algorithmen führe Apple auch einen ganz neuen Look ein, den kein iPhone zuvor gehabt habe. Es gäbe aber keinen Softfilter fürs Gesicht. Der Effekt käme durch andere bildverbessernde Mechanismen zustande. Zum einen reduziere das Xs Rauschen besser und aggressiver durch die optimierte Zusammenführung von Belichtungen. Zum anderen reduzierten zusammengefasste Aufnahmen die Schärfe, weil sie Hell-Dunkel-Kontraste beseitigten.
Bei schwachem Licht sieht man die Glättung durch die Rauschunterdrückung deutlich, während sie bei Tageslicht schwächer ausfällt. Quelle: halide.cam Kontrast contra SchärfeSchließlich funktioniere Schärfe nicht wie in CSI-Folgen, wo ein Detektiv "verbessern" aufruft und schwups sei das Detail scharf. Man kann keine Details hinzufügen, die bereits verloren gegangen sind. Aber das Gehirn lässt sich täuschen, in dem man kleine kontrastreiche Bereiche addiert. Wer in der Nähe einer kontrastreichen Kontur den hellen Bereich etwas heller und den dunklen etwa dunkler mache, erreiche eine subjektiv höhere Schärfe. Allerdings führt das iPhone Xs Belichtungen zusammen und reduziert so die Helligkeit der hellen Bereiche und die Dunkelheit der Schatten. Das Detail bleibt zwar enthalten, aber durch den niedrigeren lokalen Kontrast wirkt es weniger scharf. Dadurch etwa erscheint die Haut glatter – es fehlen die starken Kontraste. Zudem kommt noch der Effekt der Rauschreduzierung hinzu.
Licht und RauschenGrobe Texturen und alle dunklen Bereiche wirken mit der neuen Methode glatter als je zuvor. Das liegt an der aggressiveren Rauschreduzierung im iPhone Xs. Das Xs bevorzugt im Gegensatz zum Vorgänger kürzere Verschlusszeiten und höhere "Film"-Empfindlichkeiten (ISO). Damit tritt weniger Licht durch die Linse und das Rauschen nimmt zu. Der Mini-Sensor der Front-Kamera nimmt dank seiner Größe noch weniger Licht auf, was wiederrum zu noch mehr Rauschen führt. Daher verwendet das Xs-System eine stärkere Rauschreduzierung, was wiederum in geglätterten Aufnahmen mit weniger lokalen Kontrasten mündet. In den RAW-Aufnahmen des Xs sieht man das verstärkte Rauschen in Relation zum iPhone X deutlich, da in diesem Modus keine Rauschminderung stattfindet.
Es gibt keine GesichtsglättungDen Kompromiss sieht man bei Selfies mit gemischter oder starker Beleuchtung: Sie wirken einfach besser – wenn auch nur ein bisschen, wenn es um die Glättung geht. Die beschränkt sich jedoch nicht nur auf Gesichter, wie fälschlich angenommen. De With hat Bilder von unterschiedlichen Materialen und Gesichtern gemacht und festgestellt, dass der Grad der Glättung immer derselbe war. Er geht davon aus, dass Apple den Prozess noch etwas nachjustieren wird, um ein ausgewogeneres Bild zwischen Glättung und Kontrast zu erreichen. Die Kamera des Xs sei dennoch besser und zwar für alle Anwender. Gelegenheitsfotografen erhielten bessere Fotos bei schwierigen Bedingungen, Pro-Nutzer könnten den verlorenen Kontrast mit wenigen Schritten wieder herstellen. Das Gegenteil sei unmöglich: Beim kontrastreichen Bild sei das Detail schon unwiederbringlich verloren gegangen.
Die oberen RAW-Aufnahmen des iPhone X besitzen offensichtlich weniger Rauschen als die Aufnahmen des Xs (unten). Quelle: halide.cam RAW und Smart-HDRDe With vermutet, dass auch die RAW-Aufnahme des iPhone Xs (Max) diesselben Aufnahmevorlieben hat wie beim Smart HDR. Im Ergebnis sehen die RAW-Bilder des iPhone X besser aus, da die Belichtung niedriger und die Details unbeschnittener ausfallen. Wer also sein iPhone Xs für RAW-Aufnahmen in hoher Qualität nutzen möchte, dem rät der Fotoexperte manuelle Aufnahmen und gezielte Unterbelichtung. Da kommt De Withs Eigenentwicklung "Smart RAW" ins Spiel, die in seiner App Halide integriert ist. In seinem Blog geht De With anschließend detailliert auf die Vorteile von Smart Raw in Zusammenarbeit mit dem iPhone Xs (Max) ein.