Es ist der Heilige Gral der Fotografie. Stellen Sie sich vor, jemand hätte einen Akku erfunden, der 10mal so viel Kapazität bei einem Zehntel Größe, einem Zehntel Ladezeit und einem Zehntel des Preises hätte und der nebenbei noch beliebig oft aufgeladen werden kann, ohne signifikant zu altern. Klingt utopisch, ist utopisch, aber so etwas Ähnliches bedeutet die Entwicklung des sogenannten
"Global Shutter" für die Welt der Foto- und Videografie.
Gemeint ist damit eine neue Technik, wie der "Verschluss" (engl.: Shutter) beim Aufnehmen von Bildern funktioniert. Der Verschluss ist eine Art Blende, die es auch in analogen Filmkameras schon gegeben hat und die unverzichtbar zur Belichtungssteuerung ist. Am weitesten Verbreitet ist der Schlitzverschluss und der funktioniert so, wie
hier auf Wikipedia beschrieben. Kurz gesagt wird dabei das Licht in einem mehr oder weniger
breiten Streifen (je nach Belichtungszeit) von oben nach unten wie mit einer Rolle auf den Sensor bzw. den Film "gemalt". Elektronische Bildsensoren moderner Digitalkameras benötigen solch einen mechanisch ablaufenden Verschluss nicht zwingend, aber selbst wenn diese mit einem vollelektronischen Verschluss arbeiten, wird auch hier das Bild quasi Zeilenweise von oben nach unten erzeugt, weil – stark vereinfacht ausgedrückt – nicht alle lichtempfindlichen Pixel gleichzeitig belichtet werden können. Dazu müsste nämlich jeder Bildpunkt auch seinen eigenen Analog/Digital-Wandler haben – oder es müsste andere Lösungen geben, um die Messdaten aller Pixel irgendwie gleichzeitig in digitale Werte umsetzen zu können. Genau daran arbeiten die Forscher nun schon seit vielen Jahren, aber echte Durchbrüche blieben ihnen bisher verwehrt. – Bis jetzt!
Beinahe zeitgleich haben in dieser Woche sowohl Sony als auch Panasonic Erfolge bei der Entwicklung des Global Shutter angekündigt, wobei die Ergebnisse sehr unterschiedlich aussehen. Während Sony einen Backside Illumination (BSI) CMOS Sensor mit Global Shutter vorstellte, der jedoch nur eine Auflösung von heute kaum zu gebrauchenden 1,46 Megapixeln hat, verkündete Panasonic einen Durchbruch mit einem "Organic Photoconductive Film" (OPF) CMOS-Sensor, der Global Shutter bei 8K-Auflösung (36 Megapixel) bieten soll.
Nun aber erstmal zu der Frage, was denn an diesem Global Shutter so toll sein soll. Die Notwendigkeit für den oben beschriebenen Verschluss – egal ob mechanisch oder elektronisch ablaufend – führt in der Praxis zu gewissen Nachteilen. Einer der bekanntesten davon ist der Rolling Shutter Effekt, der dazu führt, dass vertikale Linien im Bild durch horizontale Bewegungen (z.B. Kamera-Schwenks oder fahrende Autos) verzerrt werden. Das sieht dann so aus:
Eine sehr viel tiefergehende Beschreibung des Rolling Shutter Effekts finden Sie in diesem Video:
Lange Rede, kurzer Sinn: Mit einem echten Global Shutter lässt sich dieser unerwünschte Effekt komplett vermeiden. Aber das ist längst nicht alles, was es an Vorteilen bringt.
Eigentlich noch viel interessanter als die Beseitigung des lästigen Rolling Shutter Effekts ist die Möglichkeit, bei gleichzeitiger Belichtung aller Bildpunkte damit auch jeden einzelnen Bildpunkt in der Belichtung steuern zu können, anstatt nur eine einheitliche Belichtung auf die gesamte Sensorfläche anzuwenden. Damit ließe sich ein Manko beseitigen, das sowohl Film als auch digitale Aufnahmen von der menschlichen Fähigkeit zur Wahrnehmung von Licht und Schatten bisher unterschied.
Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem Raum und blicken in Richtung eines Fensters. Sie selbst können sowohl die Details im Raum, als auch die Landschaft durch das Fenster gleichzeitig erkennen. Sie sehen also draußen einen blauen Himmel, Details in Wolken etc. und drinnen die Dinge vor Ihnen auf dem Tisch. Und das beides gleichzeitig mit ausreichendem Kontrast. Wenn Sie nun dieselbe Szene mit einem beliebigen Fotoapparat aufnehmen, sei es Ihr iPhone oder eine High-End-Digitalkamera, dann wird entweder die Außenszene hinter dem Fenster überbelichtet oder die Details im Innenraum unterbelichtet sein. Um das zu vermeiden, musste man bisher aufwändig mit Mehrfachbelichtungen arbeiten: einmal eine Belichtungsmessung für das Fenster, eine weitere für den Innenraum. Anschließend mussten die beiden Bilder so miteinander kombiniert werden, damit sowohl das Fenster als auch der Innenbereich eine natürlich aussehende Belichtung aufweisen. Hier sind zwei Beispiele von Panasonic, wie sich das Problem mithilfe des neu entwickelten Sensors mit Global Shutter umgehen lässt:
Das ist eines der größten Probleme der Fotografie, dass die aufgenommenen Szenen oft nicht so aussehen, wie wir Menschen sie tatsächlich wahrnehmen, weil das Verhältnis zwischen hellen und dunkleren Bereichen anders abgebildet wird. Der Global Shutter könnte, zumindest in der von Panasonic gezeigten Technologie, hier einen großen Durchbruch bedeuten und durchgehend korrekt belichtete Aufnahmen ermöglichen, ohne aufwendige Mehrfachbelichtungen oder HDR-Kompositionen erstellen zu müssen. Doch da ist noch mehr. Panasonic beschreibt in seiner Meldung, dass der OPF-CMOS-Sensor erstmals auch einen stufenlos einstellbaren, elektronischen ND-Filter bietet (ND= Neutrale Dichte). ND-Filter sind im Prinzip wie Sonnenbrillen für Kameras, mit denen man die Szene künstlich verdunkeln und damit die Belichtungszeit gewollt verlängern kann, ohne die Farbdarstellung zu beeinträchtigen. Dadurch ist es beispielsweise möglich, bei hellem Tageslicht aufnahmen von sich bewegendem Wasser mit langer Belichtungszeit zu machen, wodurch das Wasser wie glattgebügelt oder sogar wie Nebel aussieht. Hier ein Beispiel:
Mit der von Panasonic vorgestellten Technologie lässt sich durch einfache Absenkung der Spannung die Empfindlichkeit der lichtempfindlichen Sensorpixel verringern, was den Effekt eines ND-Filters hat, der sonst vor das Objektiv geschraubt oder woanders im Lichtweg eingefügt werden muss.
Das klingt alles fantastisch und wird die Welt der Fotografie sicher einen guten Schritt voranbringen. Die Sache hat nur einen Haken: Weder Sony noch Panasonic haben bislang konkrete Produkte oder auch nur einen Zeitplan angekündigt, bis wann Sensoren mit Global Shutter marktreif sind. Im Falle von Sonys Technologie scheint eine Anwendung in realen Kameras auch noch etwas weiter in der Ferne zu liegen, weil der gezeigte Sensor mit 1,46 Megapixeln kaum dem heutigen Bedarf an Auflösung gerecht würde. Wie lange es dauern wird, Sonys Technologie mit ausreichender Auflösung marktreif zu entwickeln, steht in den Sternen. Sehr viel näher an der Marktreife scheint Panasonic mit seinem 36-MP-Sensor zu sein, doch auch hier ist nicht bekannt, wann beispielsweise eine Lumix-Kamera mit so einem Sensor in den Handel kommen könnte. Panasonic schreibt in seiner englischsprachigen Pressemeldung:
Panasonic
In the future, we will utilize this OPF CMOS image sensor technology in various applications such as broadcasting cameras, surveillance cameras, industrial inspection cameras, automotive cameras, etc., and will contribute to realize high resolution, high speed and high precision imaging and sensing functions.
Das lässt leider ausgerechnet herkömmliche Foto/Videokameras und auch Smartphones mehr oder weniger außen vor. Dennoch ist es ein riesiger Durchbruch, dass es Sony und Panasonic gelungen ist, funktionierende Bildsensoren mit Global Shutter zu entwickeln, wobei Panasonics Ansatz hier aus meiner Sicht noch deutlich vielversprechender ist. Die Beschreibung von Panasonic enthält noch mehr Vorteile, wie eine verbesserte, pixelbasierte Rauschunterdrückung. Und über die von Panasonic und Sony genannten Vorteile hinaus ermöglichen Global-Shutter-Sensoren noch andere Dinge, wie zum Beispiel eine bessere Blitzsynchronisation mit kürzeren Verschlusszeiten.
Im Gegensatz zur Akkutechnik, wo man auch immer wieder von Durchbrüchen liest, die dann aber nie zu kommen scheinen, dürfte sich die Situation hier anders darstellen. Kameras mit Global Shutter Sensoren dürften nur noch wenige Jahre von der Marktreife entfernt sein. Das könnte der Branche, die in letzter Zeit irgendwie etwas träge und auch ein wenig langweilig geworden ist, einen wichtigen Schub geben.
Weitere Details zu den beiden Vorstellungen finden Sie hier:"Sony Develops a Back-Illuminated CMOS Image Sensor with Pixel-Parallel A/D Converter That Enables Global Shutter Function" "Panasonic Develops Industry's-First 8K High-Resolution, High-Performance Global Shutter Technology using Organic-Photoconductive-Film CMOS Image Sensor"