Vor etwas über 20 Jahren ebneten Kameras wie die Canon Pro 70 oder Sony Mavica FD-91 den Weg für eine ungeheure Erfolgsgeschichte. Ähnlich der CD, die in den Achtziger Jahren in unglaublich kurzer Zeit beinahe den Tod der Vinyl-Schallplatte besiegelte, schafften es Digitalkameras in Rekordzeit, ein über hundert Jahre altes Medium in die (wirtschaftliche) Bedeutungslosigkeit zu treiben. Zwar hatten die zuvor genannten Wegbereiter mit weniger als 1 bzw. 2 Megapixeln eine unfassbar schlechte Bildauflösung und auch sonst qualitativ dem klassischen Film kaum etwas entgegen zu setzen, doch die Entwicklung ging rasch voran. Das war der Beginn des Megapixel-Rennens.
Etwa Mitte der 2000er Jahre stießen Kameras wie die Canon EOS 20D mit ihren 8 Megapixeln Bildauflösung und einer Handhabung ganz im Stil analoger SLR-Kameras erstmals Debatten an, ob Digital nicht inzwischen die höhere Qualität liefere, was zu heißen Diskussionen über Filmkorngrößen führte.
8 Megapixel-Fotos der Canon EOS 20D aus dem Jahr 2006. Fürs Web von 3.504x2.336 Pixeln auf 3.000 Pixel reduziert.
Zeitsprung in die Gegenwart. Analoge Fotografie ist tot. Zumindest so tot wie die Schallplatte, die zwar derzeit ein erstaunliches Revival erlebt und eine feste, ja sogar wachsende Fangemeinde hat. Aber im wirtschaftlichen Gesamtkontext spielt sowohl die Schallplatte als auch der Rollfilm für Kameras keine nennenswerte Rolle mehr. (Wortspiel nicht beabsichtigt.) Beinahe jeder Mensch auf der Welt ist heute dank Smartphonekameras ein Fotograf, das Internet quillt über vor Fotografien. Systemkameras sind aber nach wie vor von Bedeutung, denn die winzigen Sensoren und Objektive von Smartphones haben gewisse physikalische Grenzen, die nicht so ohne weiteres überwunden werden können.
Doch wie lange ist das überhaupt noch von Bedeutung?
Abgesehen von den Möglichkeiten der Computational Photography, die mittels „Künstlicher Intelligenz“ Fotos nachträglich in Ergebnisse umrechnen, die dem menschlichen Auge mehr schmeicheln, und die bei Systemkameras noch nicht voll Einzug gehalten hat, scheint die „native“ oder Rohbildqualität der Sensoren zu stagnieren. Inzwischen haben die Kameras ein sehr hohes Niveau erreicht, was Farbtreue, Dynamikumfang und allgemein Realismus anbelangt. Auflösungen bis weit über 50 Megapixel sind keine Seltenheit mehr und noch mehr Megapixel sind nicht mehr das Ziel Nummer Eins in den Entwicklungslabors (auch wenn es noch Luft nach oben gibt).
Das Schlachtfeld hat sich verlagert. Heute geht es in der Sensorentwicklung hauptsächlich um ein Schlüsselthema: Auslesegeschwindigkeit.
Das hat verschiedene Gründe: Um die von den Verbrauchern nach wie vor geforderten hohen Serienbildgeschwindigkeiten zu erreichen (obwohl die Wenigsten damit wirklich etwas anfangen können), ist insbesondere bei Sensoren mit sehr hoher Auflösung hohe Auslesegeschwindigkeit das A und O. Außerdem spielt Video dabei eine wichtige Rolle. Auch wenn der praktische Nutzen in vielen Bereichen aktuell noch sehr fraglich ist, drängt 8K-Video immer mehr in den Fokus der Verbraucher und hält Einzug in die Kameras. Noch viel mehr als Fotografie mit hoher Auflösung und Serienbildgeschwindigkeit verlangt 8K-Video nach hohen Auslesegeschwindigkeiten der Sensoren. DPReview hat es
hier vorgerechnet:
„Die grundlegendste 8K-Aufnahme erfordert einen Sensor, der mindestens 33 Millionen Pixel in 41 ms oder weniger auslesen kann und unter 33 ms, um 30p-Aufnahmen zu liefern. Aber diese Zahlen entsprechen nur Ausleseraten von 1/24 und 1/30 Sekunde, was eine lange Zeit ist, in der sich viel ändern kann, wenn man Sportaufnahmen macht. Die Verzerrung, die durch Rolling Shutter entsteht, kann bei diesen Geschwindigkeiten immer noch ziemlich signifikant sein.“
Die damit einhergehenden Datenmengen sind enorm. Kaum vorzustellen, welcher Bedarf an On- und Offline-Speicherplatz sich entwickelt, wenn immer mehr Personen in 8K-Auflösung filmen. Der sinnvollere Ansatz momentan ist, in 8K zu filmen, dies dann aber anschließend in besonders scharfes 4K herunter zu skalieren, aber auch das wird nur eine gewisse Zeit lang so bleiben, bis alle nur noch natives 8K wollen.
Moderne High-End-Kameras wie die Canon EOS R5 oder die Sony A1 mit 8K-Video.
Aus fotografischer Sicht bietet 8K Video mit seiner schon sehr hohen Auflösung von rund 33 MP die Möglichkeit, einfach die Szene zu filmen und anschließend die besten Einzelbilder daraus als Fotos zu extrahieren. Die Fähigkeit der Kameras zu hoher Serienbildgeschwindigkeit für Einzelaufnahmen erübrigen sich damit nach und nach. Voraussetzung dafür ist aber eine weitere deutliche Erhöhung der Auslesegeschwindigkeit, um kürzere „Verschlusszeiten“ bei Video zu ermöglichen – was den Datenbedarf weiter explodieren lässt.
Witzigerweise haben ausgerechnet Smartphones auch in diesem Punkt die Nase vor den Systemkameras, was an den wesentlich kleineren Sensoren liegt, mit denen sie auskommen müssen. Aber so oder so: Das Datenaufkommen wird in den nächsten Jahren weiter stark ansteigen.
Aktuell ist unter den drei bedeutendsten Kameraherstellern Canon, Sony und Nikon das Rennen um die beste Profikamera in vollem Gange. Sony hat mit der A1 (siehe
Vorstellung) bereits seinen ersten Schlag ausgeteilt. Nikon hat kürzlich in einem DPR-Interview offenbart, ihr nächstes „Flaggschiff“ noch in diesem Jahr auf den Markt bringen zu wollen. Und Canon? Auch der Marktführer hat mit Sicherheit schon seit längerem einen spiegellosen Nachfolger seiner 1-Serie in der Entwicklung, wenngleich die Gerüchte hierzu bis jetzt noch nicht sehr konkret waren. Man kann aber davon ausgehen, dass Canon etwa zeitgleich oder nicht viel später als Nikon sein neues Schlachtschiff ins Gefecht schicken wird.
Das Problem hierbei: Der Entwicklungsaufwand für High-End-Kameras ist enorm gestiegen und damit auch die Preise für den Verbraucher. Die Sony A1 kostet bereits 7.300 Euro (ohne Objektiv). Die noch in den Startlöchern stehenden Canon- und Nikon-Topmodelle werden eher noch teurer werden und damit nur für wenige Enthusiasten oder einen relativ kleinen Kreis professioneller Nutzer interessant. Denn klar ist, dass auch mit „nur“ 20-Megapixeln und „nur“ 20 Bildern pro Sekunde selbst anspruchsvollste fotografische Aufgaben gemeistert werden können.
FazitAus Verbrauchersicht könnte der Kameramarkt in gewisser Hinsicht damit nur
noch uninteressanter werden, wenn die wirklich begehrenswerten Technologie-Flaggschiffe in immer unerschwinglichere Bereiche abdriften. Smartphones dagegen sind dank Computational Photography für mehr und mehr Hobby-Fotografen der Exit aus der Systemfotografie. Hobby-Kameras, also die Einsteiger- und Mittelklasse der Systemkameras, verlieren mehr und mehr ihren Reiz. Was auch dadurch deutlich wird, dass die Hersteller diese inzwischen verstärkt auf einen anderen Kundenkreis ausrichten, wie beispielsweise Canon die M50 II (siehe
TechTicker letzte Woche) jetzt besonders Vloggern schmackhaft machen will.
Technologische Entwicklungen lassen auf absehbare Zeit keine Trendwende zurück zu mehr Hobbyfotospaß erkennen. Immer nur noch schneller noch größere Datenmengen produzieren scheint das ausgemachte Ziel zu sein.