Kommentar: Apples PR- und Glaubwürdigkeitsdesaster rund um automatisierte Foto-Analyse
Neben dem Verkauf von Hard- und Software tut Apple viel Gutes – allem voran der Kampf für die Privatsphäre der Nutzer. Tim Cook lässt kaum eine Gelegenheit verstreichen, ohne zu erwähnen, wie wichtig die Privatsphäre der Nutzer ist. Viel ist dem Konzern auf diesem Gebiet zu verdanken und Nutzer vertrauen Apple über iCloud und weitere Dienste ihre privaten Daten an. Auch auf weiteren Gebieten, beispielsweise im Kampf gegen Diskriminierung, versucht Apple, die Welt etwas besser zu machen – und präsentiert dies natürlich medienwirksam.
Letzte Woche kündigte Apple an, in Zukunft verstärkt gegen die Verbreitung von kinderpornografischem Material vorzugehen – an sich ein sinnvolles Unterfangen, um diese verachtungswürdigen Straftaten aufzudecken. Dienste-Anbieter wie Microsoft, Google und auch Facebook verwenden serverseitig ähnliche Verfahren, um Inhalte dieser Art zu identifizieren und den Behörden zu melden.
Auf dem Gerät der AnwenderAnders als Cloud-Anbieter will Apple aber auf lokale Scans setzen, welche auf den Geräten der Kunden ablaufen: Für bekannte pornografische Bilder, welche Kinder zeigen, werden Schlüssel errechnet – und das iPhone oder iPad der Kunden sucht nun in der lokalen Foto-Bibliothek nach Übereinstimmungen. Kein Algorithmus ist perfekt – daher bleibt eine sofortige Meldung an Behörden aus. Erst, wenn ein bestimmter Schwellenwert überschritten ist, wird Apple alarmiert – und ein Mitarbeiter kontrolliert die markierten Bilder. Sollte sich der Verdacht erhärten, sperrt Apple das Nutzerkonto und meldet es den Behörden. Dieses System wird zuerst in den USA umgesetzt – und später, wie Apple am Wochenende bekanntgab, nach und nach in weiteren Ländern unter Berücksichtigung lokaler Gesetze und Gegebenheiten.
PR-Desaster und verunsicherte KundenKein vernünftiger Bürger wird den Besitz von Kinderpornografie gutheißen – so dachte wohl auch Apple. Das System an sich ist relativ ausgeklügelt und wird nicht dazu führen, dass plötzlich Väter oder Mütter, welche ihr Kind in der Badewanne fotografierten, plötzlich als Kinderschänder dastehen.
Doch so gut die Technik auch ist – bei den meisten Anwendern bleibt ein mulmiges Gefühl. Besonders bei technisch weniger versierten Anwendern bleibt nur ein Satz hängen: "Apple durchforstet mein iPhone und zeigt mich an, wenn irgendetwas Komisches gefunden wird". Auf der einen Seite setzt sich Apple sehr medienwirksam für die Privatsphäre seiner Kunden ein – nur um diese dann selbst zu melden. Dies ist natürlich eine überaus simplifizierte Darstellung – doch genau diese Betrachtung wird sich in den Köpfen der meisten Leute einnisten.
Wichtige Grenze überschrittenApple hat durch die Ankündigung möglicherweise eine Grenze überschritten: Einerseits sollen Kunden die volle Kontrolle über ihre eigenen Daten haben – und keine Dritten sollen diese sehen, verarbeiten oder für Werbezwecke missbrauchen. Anderseits kündigt Apple nun aber an, sehr wohl die Daten seiner Kunden zu verarbeiten und zu melden, wenn Straftaten vermutet werden.
So verachtungswürdig die Erstellung, der Besitz oder die Verbreitung von kinderpornografischen Bildmaterial auch ist – Nutzer werden sich in Zukunft unwohler mit ihren Apple-Geräten fühlen, auch wenn kein strafbares Bildmaterial auf den Geräten zu finden ist. Jeder vernünftige Bürger ist gegen Kinderpornografie – doch kaum jemand fühlt sich wohl bei dem Gedanken, dass das eigene Gerät ohne Verdacht die eigenen Bilder sichtet.
Angst vor der ZukunftMomentan beschränkt sich Apples Scan auf Kinderpornografie – doch viele Nutzer fragen sich, wohin diese Reise geht. Könnte Apple künftig gar auch Chats durchleuchten, um beispielsweise Terroristen dingfest zu machen? Ebenfalls ein nobles Ansinnen, doch bezüglich der Privatsphäre ein kritisches Unterfangen. Was ist, wenn beispielsweise China Apples System zur Identifikation von politischen Aktivisten nutzen möchte? Apple müsste sich hier lokaler Gesetzgebung unterwerfen – zu wichtig ist der chinesische Markt, um diesen einfach zu verlassen.
Wie Apple mit den in der Presse, auf Social Media oder in Foren meist negativen Reaktionen umgeht, bleibt abzuwarten. Entweder, Apple hofft, dass sich die Wogen nach einigen Wochen von selbst glätten oder der Konzern rudert zurück und schiebt das umstrittene Vorhaben zumindest auf.