Kommentar: Spotify HiFi könnte der Tritt in den Hintern sein, den Apple nötig hat
In seinem Newsroom
schreibt Spotify:
"Qualitativ hochwertiges Musikstreaming ist immer wieder eine der am meisten gewünschten neuen Funktionen unserer Benutzer." … und stellt
"Premium-Abonnenten in ausgewählten Märkten" in Aussicht, die Wiedergabequalität im Laufe des Jahres auf "Spotify HiFi" aufrüsten zu können. Implizit ohne Aufpreis, was aber noch abzuwarten bleibt.
Zunächst einmal bedeutet dies nach derzeitigem Kenntnisstand, dass
Spotify seinen Katalog in "CD-Qualität" anbieten wird, was 16bit/44,1kHz und einer Datenrate zwischen etwa 700kbps (verlustfrei komprimiert) bis 1.411kbps (unkomprimierte CD-Qualität) entspricht. Das ist nicht das, was im allgemeinen Sprachgebrauch als "HiRes" (High Resolution) bezeichnet wird. Dies meint alles oberhalb von CD-Qualität. Gegenüber dem bisherigen Spotify-Streamingangebot mit verlustbehaftet komprimierter Übertragung (Ogg Vorbis) mit 320kbps ist CD-Qualität aber ein wichtiger und im richtigen Umfeld auch deutlich hörbarer Qualitätssprung.
In Zeiten von Videostreaming in HD oder gar 4K UHD mit HDR ist die verfügbare Internetbandbreite schon längst kein Argument mehr, Musikstreaming auf stark komprimierte Datenraten zu begrenzen, wie Spotify und auch
Apple Music es bisher machen. Zumindest nicht im heimischen WLAN mit Internet-Flat. Wer ein limitiertes Datenvolumen hat, sollte zumindest unterwegs eine geringere Auflösung, ggf. auch verlustbehaftet komprimiert, wählen.
Aber warum begrenzen die großen Anbieter Spotify und Apple überhaupt die Datenrate so stark, statt zumindest wahlweise CD-Qualität (oder höher) anzubieten? Die Antwort darauf ist recht simpel: Weil sie es nicht müssen, denn den meisten Usern ist es schlicht ausreichend und sie beschweren sich nicht. Diejenigen Nutzer, die ernsthaft mehr wollen und sich keineswegs mit Apples oder Spotifys Qualität begnügen möchten – eine vergleichsweise kleine Minderheit – sind längst zu anderen Diensten wie
Qobuz oder
Tidal abgewandert, die ihren Katalog schon lange in CD-Qualität bereitstellen und zumindest zu einem gewissen Teil auch in HiRes mit bis zu 24bit/192kHz streamen. Geschätzte 80-90% des Angebots sind aber auch bei diesen Anbietern auf CD-Qualität begrenzt. Bei Qobuz aber in letzter Zeit mit deutlich steigender Tendenz in Richtung mehr HiRes. Der große Rest der Nutzer lebt gut mit dem, was die großen Anbieter ihnen liefern und wird sich vermutlich erst dann über eine höhere Qualität freuen, wenn sie sie das erste mal erleben. Sei es an den eigenen heimischen Lautsprechern oder bei Freunden mit einem besseren Wiedergabesystem.
Für Nutzer, die mit gängigen Lifestyle- oder Smart-Speakern wie dem HomePod oder mobil mit dem iPhone und Bluetooth-Kopfhörern Musik streamen, ist ansonsten auch weiterhin der verlustbehaftet komprimierte Datenstrom ausreichend. Wiedergabe in CD-Qualität oder höher ist hierfür weitgehend überflüssig, da beispielsweise die drahtlose Bluetooth-Übertragung selbst mit verlustbehafteter Datenkompression arbeitet. Viele Smart-Speaker bieten zwar theoretisch (z. B. via AirPlay) die Übertragungsmöglichkeiten für CD-Qualität, können diese wegen anderer technisch/akustischer Limitierungen aber kaum zu Gehör bringen.
Bluetooth-Kopfhörer wie Apples AirPods Max (siehe Testbericht) profitieren wegen der Bluetooth-Limitierung kaum bis gar nicht von CD-Qualität oder HiRes-Streaming. Nichtsdestotrotz ist der Anspruch einer nicht unerheblich Anzahl von Nutzern über die Jahre gewachsen, sodass CD-Qualität – etwas, das seit Anfang der Achtziger Jahre technisch möglich ist – auch für Streamingangebote endlich Standard werden sollte. Spotify soll derzeit knapp 300 Mio. Abonnenten haben. Apple Music dürfte heute bei etwa 80 Mio. Nutzern stehen. Damit bedienen Spotify und Apple weitaus mehr Kunden, als alle anderen Anbieter zusammengenommen. Zumindest einige Nutzer des kommenden Spotify-HiFi-Angebotes werden die höhere Klangqualität in der Praxis kennen und schätzen lernen. Selbst wenn das nur 5% der Spotify-Nutzer sind, wäre das noch immer eine erhebliche Zahl von Anwendern. Deutlich mehr, als beispielsweise die Nutzerbasis von Qobuz oder Tidal.
Für die HiFi-Industrie ist das in sofern eine gute Nachricht, weil dies die Nachfrage nach besseren Wiedergabesystemen anheizen dürfte. Apple betrifft das in dieser Hinsicht weniger, weil der iPhone-Hersteller keine Audiokomponenten mit entsprechend höheren Wiedergabequalität anbietet. Selbst die AirPods Max sind wegen ihrer Limitierung auf Bluetooth diesbezüglich irrelevant. Und doch könnte auch im Apple-Lager der Ruf nach höherer Streaming-Qualität lauter werden. Allein schon deshalb, weil der Rasen nebenan immer grüner als der eigene erscheint.
Um nicht am Ende allein auf weiter Flur mit einem ausschließlich stark komprimierten Musikangebot dazustehen, könnte Apple letztlich vielleicht gar nichts anderes übrig bleiben, als es Spotify gleich zu tun. – Besser spät als nie!