Abgesang auf die Mini-KlinkenbuchseEs ist mal wieder Zeit Abschied zu nehmen. Über Jahrzehnte hinweg hat uns die sogenannte Klinkenbuchse mit 6,35 mm Durchmesser und ihr kleiner Bruder Mini-Klinke (oder 3,5 mm Klinke) treue Dienste geleistet. Am weitesten Verbreitet war sie zuletzt als Kopfhöreranschluss an mobilen Musikplayern. Ohne die 3,5-mm-Buchse wäre der Siegeszug des iPods nur schwer vorstellbar gewesen und sie hat bis in die heutige, fast vollständig durch-digitalisierte Zeit überlebt. Aber ihr Ende ist nah – zumindest in einigen Bereichen.
Alle Zeichen deuten darauf hin, dass die nächste iPhone-Generation keine Klinkenbuchse mehr haben wird. Wie jedes mal, wenn Apple eine Schnittstelle über Bord wirft, ist auch hier schon vor vollendeten Tatsachen das Geschrei sehr groß. Dabei wäre der Schritt für Apple nur logisch und konsequent und für den Verbraucher letztendlich ein Fortschritt, wozu man aber erst mal verstehen muss, was genau der Unterschied zwischen der Klinkenbuchse und Lightning oder
künftig auch USB genau ist.
Im Prinzip ganz einfach: Die Klinkenbuchse gibt nur analoge Signale aus, Lightning hingegen nur digitale. Jeder Schallwandler, Kopfhörer wie Lautsprecher, arbeitet in letzter Instanz aber immer analog. Es muss also an irgend einer Stelle im Signalweg eine Umwandlung von den heute zumeist digitalen Datenquellen hin zu analogen Musiksignalen erfolgen. Wenn die Klinkenbuchse im Abspielgerät sitzt (iPhone, iPad etc.), muss diese Wandlung schon innerhalb dieses Quellengerätes erfolgen. Der Hersteller muss einen sogenannten DAC mitsamt einer analogen Ausgangsstufe (quasi der Verstärker) im Gerät implementieren. Und dieser DAC muss in der Lage sein, praktisch alle am Klinkenausgang angeschlossene Geräte gleichermaßen gut treiben zu können. Oder anders herum: Die Hersteller von Kopfhörern müssen ihre Geräte so konstruieren, dass sie möglichst gut zu den Spezifikationen der Ausgangsstufe in Smart-Devices passen – weder das eine noch das andere ist exakt genormt und daher immer unterschiedlich.
Das bedeutet so oder so Kompromisse. Kopfhörer, die beispielsweise mit einer deutlich höheren Impedanz arbeiten sollen (was einer leichteren Schwingspule gleichkommt) oder allgemein einen geringeren Wirkungsgrad haben, spielen nicht sehr gut oder schlicht zu leise an Geräten mit vergleichsweise schwacher Ausgangsstufe wie in den iDevices. Etwas vereinfacht in der Darstellung, aber vom Prinzip her ein Kernproblem: Das eine passt nur selten optimal zum anderen.
Hinzu kommt, dass Klinkenbuchsen schon immer mechanisch
recht anfällig waren und oft Kontaktprobleme aufweisen. Und weil Musik eben auch (in digitaler Form) über Lightning ausgegeben werden kann, ist die Klinkenbuchse in gewisser Weise längst redundant. Es sind überflüssige Bauteile, die der Hersteller einsparen könnte und als Nebeneffekt dafür auch noch mehr Freiheiten bei der Gehäusekonstruktion und Raumausnutzung erhält.
Eine ähnliche, wenn auch nicht ganz identische Situation findet sich an modernen Fernsehern. TV-Geräte waren über lange Zeit stets mit der sogenannten
SCART-Buchse ausgestattet. Eine monströs anmutende Steckverbindung vornehmlich für Videorecorder, die inzwischen nur noch in den wenigsten Haushalten genutzt werden. Auch SCART ist eine analoge Verbindungsart. Mit immer flacher werdenden Bildschirmen wurde es für die Hersteller zunehmend schwieriger, diesen riesigen Anschluss zu integrieren. Und so kommen auch immer mehr Hersteller zu dem Schluss, dass die SCART-Buchse ausgedient hat. Schon bald wird sie vollständig verschwunden sein und bis auf ein paar Nostalgie-Fans, die gerne noch mal ihren guten alten VCR anschließen wollen, wird sie keiner vermissen.
Beim Klinkenanschluss ist es aus technischer Sicht ähnlich, aus praktischer Sicht gibt es aber einen großen Unterschied: Im Gegensatz zu SCART-kompatiblen Geräten, die praktisch ausgestorben und verschwunden sind, gibt es Abermillionen Kopfhörer mit Klinkenstecker. Wenn Apple nun also mal wieder einen alten Zopf abschneidet – worin sie echt gut sind – treffen sie damit scheinbar alle User, die gerne ihre jetzigen Kopfhörer noch weiter benutzen wollen und „zwingen“ sie dazu, sich einen Adapter (wie den HRT i-dSp) anzuschaffen. Die Entrüstung ist damit vorprogrammiert. Wie schon so oft in der Vergangenheit wird sich aber auch diese Empörung sehr schnell legen, wenn erst mal gewisse Fakten geschaffen und Unsicherheiten ausgeräumt wurden.
Thema Kosten: Wenn wie hier von Kopfhörern im mittleren dreistelligen Eurobereich die Rede ist, spielen 50 Euro mehr oder weniger für ein passendes Lightning Kabel sicher keine große Rolle. Ganz anders sieht es natürlich im Massenmarkt aus, wo für Kopfhörer oder In-Ears meist nicht mehr als 10 bis 30 Euro ausgegeben werden. Noch ist unklar, ob es Apple oder anderen Herstellern gelingen wird, externe DACs in Kabel oder Kopfhörer zu einem Preis einzubauen, den der Massenmarkt akzeptiert und die nicht zu klobig sind, um als störend empfunden zu werden.
Ist die Katze erst mal aus dem Sack, bzw. die Klinke verbannt, wird es meiner Einschätzung nach aber nicht sehr lange dauern, bis Lightning-taugliche Ohrstöpsel für ein Taschengeld zu haben sein werden. Da die Halbwertzeit normaler Billighörer sowieso nicht sehr lang ist (hauptsächlich übrigens wegen Kabel- und Kontaktproblemen), werden sich auch die Beschwerden schnell legen, dass man seinen alten Kopfhörer nicht mehr direkt anschließen kann. Und wer bessere Kopfhörer besitzt, die es sich wirklich lohnt länger zu benutzen, für die wird der Kauf eines zusätzlichen Lightning-Adapters vor allem einen klanglichen Zugewinn bringen. Dabei kann der Kunde selbst entscheiden, wie viel oder wenig er in einen solchen Adapter zu investieren bereit ist. Ansonsten wird Apple aller Wahrscheinlichkeit nach sowieso Lightning- oder Bluetooth-Kopfhörer mit seinen iDevices ausliefern, die keine Klinkenbuchse mehr haben.
Vorteile der digitalen Anschlussart in der Übersicht:- hochwertigere (externe) DACs möglich
- Wahlfreiheit statt fest vorgegebener DAC
- Anpassung von DAC und Ausgangsstufe an die Eigenschaften der angeschlossenen Geräte (z.B. durch zusätzlichen DSP im DAC)
- höherer Ausgangspegel möglich
- gezielte Klanganpassungen in der digitalen Domäne per App möglich
- Gerätekommunikation: Features wie Health-Sensoren in Kopfhörern möglich
- redundanter, fehleranfälliger Analog-Anschluss entfällt
Nachteile:- zunächst potentiell höhere Kosten für Adapter bzw. Bauteile in Kopfhörern
- herkömmliche, bereits vorhandene Kopfhörer können nur per Adapter angeschlossen werden
- iDevices ohne Smart Connector können nicht gleichzeitig aufgeladen werden, wenn an Lightning ein Kopfhörer angeschlossen ist (derzeit keine "Y-Adapter" verfügbar)
Sehen wir den Tatsachen ins Auge: Die Klinkenbuchse für Kopfhörer (oder andere Geräte wie Mikrofone) an Smart-Devices zu nutzen ist aus technischer Sicht ein Anachronismus und redundant, weil das digital über Lightning ebenfalls möglich ist – und zwar in besserer Qualität. Der
gestern getestete Kopfhörer SINE belegt eindrucksvoll, wie viel besser der Klang mit externem DAC sein kann. Wenn Apple tatsächlich als Erster den Schritt wagt, die Klinkenbuchse an seinem Megaseller iPhone wegzulassen, wird meiner Einschätzung nach die Diskussion darum erst heftig hochkochen, ein paar Wochen danach stark abflauen und spätestens mit dem Erscheinen von passenden Lightning-Kopfhörern zu günstigen Preisen komplett zum Erliegen kommen. In ein, zwei Jahren wird es – wie schon bei so vielen abgeschnittenen Zöpfen zuvor – gar kein Thema mehr sein. Ein Drama ist der Verlust der Klinkenbuchse an iPhones auf keinen Fall. Höchstens eine zum Elefanten gemachte Mücke.