Hinweis: Auch wenn viele der hier genannten Umstände auch auf Musikstreaming übertragbar sind, bezieht sich dieser Artikel nur auf Videostreaming.
Streaming hat nicht nur die Art verändert, wie wir heute Musik konsumieren. Auch das Fernsehen ist für viele vom linearen TV-Empfang zu einem rein Internet-basierten Unterhaltungsmedium geworden, das stets zur gewünschten Zeit den gewünschten Inhalt liefert. – Werbefrei und in höchster Qualität.
Vor allem
Netflix haben wir den Ausdruck für das „Goldene Serienzeitalter“ zu verdanken. Der Streaming-Marktführer hat mit großem Budget und auch Engagement großartige TV-Serien wie House of Cards, Stranger Things, Better Call Saul, Ozark und viele andere geschaffen. Darunter auch einige nicht aus den USA stammende „Blockbuster“, wie etwa das südkoreanische Squid Game oder die deutsche Serie Dark. Spielfilme sind bei Netflix hingegen eher die Ausnahme und dazu oft auch sehr formelhaft. Zwar durchaus unterhaltsam, aber irgendwie belanglos.
Auf der Erfolgswelle wollen natürlich auch andere mit reiten, und so sind heute (in Deutschland) vor allem
Amazon Prime Video und
Disney+ große Netflix-Konkurrenten. Auch Apple schickt sich mit
TV+ an, sein Stückchen vom Kuchen zu erhaschen. Alle diese großen Anbieter plus weitere produzieren ständig neue Serien und Spielfilme.
Zeitenwende: Weniger Qualität und (wieder) mehr Werbung?Netflix war nie für großartige Spielfilme berühmt. Was im Grunde nicht schlimm ist, da sich das Serien-Format für große Geschichten viel besser eignet, als komprimierte 90-Minuten bis 2-Stunden-Filme. Bei anderen Diensten – einschließlich Apple TV+, die sich Qualität auf die Fahne geschrieben haben – sind überragende Filmproduktionen, ebenfalls selten.
Das mag auch am Konsumverhalten der Nutzer liegen. Statt im Kino oder auch nur auf großen TV-Bildschirmen, die inzwischen beeindruckende Bilddiagonalen erreicht haben, werden Inhalte vor allem von der jüngeren Generation heute eher auf iPhone oder vielleicht noch dem Computermonitor konsumiert, was einer imposanten Bildsprache einfach nicht gerecht werden kann. Was nützt beispielsweise eine 4K-Auflösung mit HDR auf einem 6- bis 7-Zoll-Screen? Auch die Laufzeiten sind im Serienformat für den schnellen Konsum zwischendurch vielleicht besser geeignet.
Der momentane Eindruck ist, dass Filmproduktionen insbesondere von Netflix und Amazon, aber auch anderen Diensten, nicht die Qualität großer Kinoproduktionen früherer Zeiten erreichen. Damit ist nicht die technische Qualität gemeint, denn die ist oft hervorragend. Es geht mehr um die Geschichten, die weniger mitreißend sind.
Die großartigste Zeit der jüngeren Ära für Spielfilme lag meiner Meinung nach in den Neunzigern, wo ein fantastischer Film den anderen jagte. Matrix, Die Truman Show, Contact, Forrest Gump, Titanic und eine Reihe anderer Leinwandproduktionen erschienen im Zeitraum weniger Jahre und hatten „Haftwirkung“. Sehe ich mir heute einen Film mit großen Darstellen und Budget an, wie beispielsweise Finch mit Tom Hanks auf ATV+, bleibt am Ende oft nur ein Gefühl von „ganz nett“. Aber schon kurz darauf ist der Inhalt mehr oder weniger vergessen.
Sind vielleicht alle Geschichten schon auserzählt und es gibt keine neuen bewegenden Storys mehr? Mit Sicherheit nicht. Erfreulich ist, dass großartige Romanvorlagen hin und wieder in ambitionierten TV-Serien umgesetzt werden. Wie etwa Foundation. Nur dass insbesondere diese Produktion eingefleischte Asimov-Fans wie mich mit ihrer weit an der Vorlage vorbei konstruierten Handlung doch wieder enttäuschen. Der Hinweis „Based on the Book“ erscheint da wie ein blanker Hohn. Das einzig wirklich positive Beispiel einer überragenden Buchadaption in den letzten Jahren war „The Expanse“. – Aber ich schweife ab.
Der Punkt ist, dass Spielfilme irgendwie ihre Zugwirkung und Nachhaltigkeit verloren haben. Machen die Streaming-Anbieter etwas falsch, oder bin ich nur überfüttert?
Und nun scheint auch noch die ungeliebte Werbung schleichend wieder Einzug in die „heile“ Streamingwelt zu halten. Auf unterschiedlichen Wegen. Netflix führt ein
Werbebasiertes Abomodell zum vergünstigten Preis von rund 5 Euro ein, hat in den Jahren zuvor aber sukzessive seine bis dato werbefreien Abos ständig verteuert. Amazon geht mit Prime Video einen noch subversiveren Weg. Der Dienst namens „
Freevee“ bietet zwar komplett kostenloses Streaming, aber zahlende Prime-Nutzer werden damit verprellt, dass manche durchaus interessante Inhalte, wie zum Beispiel Bosch:Legacy, auch für zahlende Abonnenten nur mit Werbung zu sehen sind.
Der Weg scheint klar: Um immer mehr Inhalte mit immer höheren Budgets produzieren zu können – was noch längst keine inhaltliche Qualität verspricht – wird das werbefreie Streaming immer teurer und durch die Hintertür werden selbst zahlende Abonnenten immer mehr zu werbeverseuchten Inhalten gedrängt. Nicht auszuschließen, dass Top-Produktionen beispielsweise bei Amazon künftig häufiger erst auf Freevee veröffentlicht werden. Und wer glaubt, dass Freevee immer kostenlos bleibt?
Massenkonsum und MonokulturIch will den Teufel nicht an die Wand malen. Noch bieten Streamingdienste für Normal-Seher und auch TV-Junkies ein gegenüber der Situation von vor 10-20 Jahren geradezu paradiesisches Unterhaltungsangebot. Nur vermisse ich vor allem im Spielfilm-Bereich echte Innovationen. Blockbuster gibt es scheinbar nur noch in Form von Franchise-Superhero-Movies, für die zumindest ich persönlich mich nicht ins Kino locken lasse. Oder als Star-Vehikel konstruierte Filme mit zwar großen Effekten aber wenig Substanz. Wo sind die großen bewegenden und lange nachwirkenden Geschichten?
Es scheint fast so, als töte die Streaming-Generation (nicht nur die Macher, sondern auch die Konsumenten) das große Erzählkino – das durchaus auch auf dem TV-Bildschirm funktioniert.
Natürlich kann dieser Artikel nur einige wenige Aspekte der ganzen Situation anreißen. Eine vollständige Analyse würde den Rahmen zu sehr sprengen. Aber wie sehen Sie die derzeitige Situation der Spielfilme im Zeitalter des Streamings? Welche Film- oder Serienadaptionen großer Romane würden Sie sich wünschen? Und würden Sie Werbung in Filmen und Serien akzeptieren, wenn Sie schon die Abo-Gebühren für den Dienst bezahlen?