Mac, iPod, iPhone, iPad, Watch. Fünf technologische Entwicklungen aus Cupertino, die jede für sich den Alltag vieler Menschen weltweit verändert haben. Nichts davon war für sich genommen zum Zeitpunkt seiner Vorstellung wirklich "neu" im Sinne von: das gab es vorher nicht. Vielmehr war es das WIE, mit dem sich die Apple-Erfindungen abgesetzt und durchgesetzt haben. Manche weniger (Mac vs. PC), manche mehr (iPhone).
Mit der Vorstellung der AR/VR-Brille
Vision Pro möchte Apple nun ein weiteres mal seine Kompetenz auf dem Gebiet "nicht neu, aber richtig" walten lassen und hat dafür auch einen Namen: Spatial Computer. Auch wenn die Apple-Produktvorstellungen grundsätzlich immer so ausgelegt sind, dass etwaige Nachteile niemals Erwähnung finden, scheint Vision Pro doch tatsächlich das Potential zu besitzen, eine bislang nur als Randerscheinung wahrgenommene Gerätegattung einem größeren Publikum zuzuführen und die Art wie wir mit Computern umgehen nachhaltig zu verändern.
Aber es gibt Fragen und eindeutige Hindernisse. Der Erfolg scheint trotz der beeindruckenden Demonstration in der Apple Keynote keineswegs selbstverständlich zu sein. Ok, das war es nie. Auch das iPhone, iPad oder die Apple Watch waren bei ihrem Start durchaus umstritten. Selbst Brancheninsider ließen sich beim iPhone zu Aussagen hinreißen, dass das niemals ein Erfolg werden könnte. BAM! – In your Face. Das Selbe, wenn auch in etwas kleinerem Maßstab, galt für iPad und vor allem auch die Watch, mit der Apple in nur wenigen Jahren zum größten Uhrenhersteller weltweit aufgestiegen ist.
Die Vision Pro, deren technische Merkmale ich hier nur am Rande erwähnen will (steht ja alles ausführlich in den anderen MTN-Berichten), wirkt auf den ersten Blick, wie direkt aus einem Science-Fiction-Film entliehen. Gestensteuerung, die an "Minority Report" erinnert. Eine virtuelle Realität die (zumindest in der Apple-Präsentation) aussieht, wie auf dem Holodeck der Enterprise erschaffen. Mixed Reality-Funktionen, die man so zuvor noch nie gesehen hat. 3D-Sound-Implementation. Und ein virtuelles Abbild des Trägers selbst, um nach Außen hin einen persönlichen Kontakt zu Menschen in der Umgebung oder in Videochats herstellen zu können. – Abgefahren!
Ich gebe unumwunden zu, dass ich sehr beeindruckt von den versprochenen Möglichkeiten bin. So stelle ich mir beispielswese vor, die Vision Pro in Ergänzung zu meinem Mac einzusetzen, um damit einen riesigen virtuellen Bildschirm nutzen zu können. Oder um Filme in einer Dimension zu erleben, die meinen 75"-Fernseher wie Kerzenlicht aussehen lassen. – Das heißt, sofern es in der Praxis denn alles so gut funktioniert, wie Apple es demonstrierte.
Und damit sind wir bei den Fragezeichen der Vision-Pro-Zukunft.
Der größte Hemmschuh der neuen Technologie ist ihr Preisschild. Ab 3.500 Dollar. Das heißt mindestens 4.000 Euro hierzulande. Plus eventuelle Upgrades, die Apple sich fürstlich bezahlen lässt. Das könnte mehr Speicher sein, aber auch ein größerer Akku oder gar andere Kopfbänder. Der Fantasie der Marketing-Experten sind da keine Grenzen gesetzt.
Jedenfalls sind rund 4.000 Euro eine ganz andere Hausnummer, als etwa 600 Euro für ein neuartiges Smartphone oder selbst 1.500 Euro für ein iPad. Die Gleichung ist simpel: Je höher der Einstiegspreis, desto geringer die Anzahl möglicher Kunden. Zu einem schnellen Massenphänomen wird das Vision Pro Headset damit schon allein wegen seines Preises garantiert nicht werden. Das heißt nicht, dass keine großen Stückzahlen abgesetzt werden. In Relation zu anderen Konsumgütern im mittleren vierstelligen Preisbereich wird Vision Pro sicher in Mengen abgesetzt werden, von denen andere nur träumen können. Dafür hat Apple einfach eine große und auch zahlungskräftige Nutzerbasis.
Die großen TV-Hersteller bieten beispielsweise auch High-End-Geräte an, die im mittleren bis oberen vierstelligen, ja sogar bis im fünfstelligen Preisbereich liegen. Die mit riesigem Abstand meistverkauften Geräte liegen aber deutlich unter 2.000, noch eher unter 1.000 Euro.
Solange das Vision-Konzept also nicht zu deutlich günstigeren Preisen hergestellt werden kann, wird es mit einiger Sicherheit kein Massenphänomen auf iPhone-Niveau werden.
Ein weiterer Punkt, der einer iPhone-ähnlichen Verbreitung im Wege steht, ist die Art und Weise, wie Vision Pro genutzt wird. Eine Art "Taucherbrille" mit Leine und Akku für die Hosentasche, der nur zwei Stunden durchhält – kürzer als "Avatar – Way of Water" in 3D. Im Flugzeug oder Reisebus mag das ja noch durchgehen. Da tragen die Menschen ja auch komische Schlafmasken, die Vision Pro optisch nicht unähnlich sind. Aber beim derzeitigen Stand der Technik scheint es doch eher ausgeschlossen, dass sich plötzlich alle aufs Smartphone glotzenden Smombies plötzlich in spacig aussehende Menschen verwandeln, die beim Whats-Appen dank Augmented Reality wieder die Straße im Blick haben können. Zumal Vision Pro zum Start gar keine Cellular Features hat und auch ein iPhone als Companion für Mobilfunkt benötigt.
Und es gibt noch viele weitere ungeklärte Fragen, die nur die Praxis eindeutig wird beantworten können. Als da wären:
- Wie gut ist die Darstellung der Stereo-Displays tatsächlich?
- Wie zuverlässig arbeitet die Gestensteuerung und ist sie so vielseitig einsetzbar, wie andere Eingabegeräte?
- Wird mixed Reality stets so realistisch dargestellt, dass man in seiner Umgebung nicht strauchelt und damit sogar in einem belebten urbanen Umfeld unterwegs sein könnte?
- Wie viel müssen Brillenträger für angepasste Zeiss-Korrekturlinsen zahlen?
- Wie ist der tatsächliche Tragekomfort?
- Sind schnelle Kopfbewegungen möglich, ohne dass die Darstellung ruckelt oder es doch zu merklichen Latenzen und Unwohlsein kommt?
- Wie gut ist die virtuelle Außendarstellung der Augen des Trägers und wird das von Umstehenden akzeptiert, oder nur als Gruselig empfunden?
- Kann das 3D-Abbild des Vision-Pro-Trägers in Videokonferenzen überzeugen?
- Ist der 3D-Sound wirklich so räumlich realistisch, wie von Apple versprochen?
Diese und mit Sicherheit viele weitere Punkte bedürfen einer Klärung. Nichtsdestotrotz scheint Apple mit
Vision Pro erneut eine bis dato nur als Randerscheinung existierende Technologie auf ein neues Niveau gehoben zu haben. Das Potential ist riesig. Ich selbst zählte mich bis zur Vorstellung von Vision Pro zu den eindeutigen Zweiflern. Wozu kann das gut sein? Brauche ich das? Oder besser gefragt: kann ich das irgendwie sinnvoll für meine Tätigkeiten einsetzen? Nach der Präsentation sehe ich dafür tatsächlich Möglichkeiten. Doch der Preis ist definitiv eine Hürde. Zumindest für ein mit vielen Fragezeichen versehenes Erstlingswerk sind um die 4.000 Euro doch ein echter Hemmschuh. So wie auch die ungeklärten Fragen für Brillenträger. Der Zusatz "Pro" beim jetzt angekündigten Vision deutet allerdings darauf hin, dass es in nicht allzu ferner Zukunft auch eine abgespeckte Variante zu günstigeren Preisen geben könnte.
Bis die Entscheidung gefällt werden kann, wird aber so oder so noch ein wenig Zeit vergehen. Der Marktstart ist erst für Anfang 2024 avisiert, und dann auch erst mal nur in den USA. Bis dahin werden sicher einige Unklarheiten beseitigt und Early Adopters in Übersee werden ihre Erfahrungen mit der Welt teilen. – Ich bin gespannt.