Für einen durchschlagenden kommerziellen Erfolg braucht es eigentlich nicht viel. Nur den richtigen Riecher und den Finger am Puls der Zeit. Hört sich einfach an, ist aber oft reine Glückssache. Doch wer genau das richtige Gespür zur richtigen Zeit hat, kann damit Milliarden verdienen, Wirtschaftsimperien schaffen, oder wie im Beispiel von
Roon auch einfach nur eine (wirtschaftlich recht unbedeutende) schöne Nische besetzen. Hier geht es nicht um eine „vom Tellerwäscher zum Milliardär“-Story, sondern um eine sehr clevere Lösung zum Musikgenuss.
Allein die Tatsache, das viele „Normalverbraucher“ gar nicht wissen, wovon bei Roon die Rede ist, zeigt schon, wie speziell diese Erfolgsstory ist. Trotzdem an dieser Stelle nur ganz kurz zu den Hintergründen: Roon ist eine serverbasierte Anwendung, die in Musikliebhaber- und HiFi-Kreisen eine einzigartige Stellung genießt. Roon benötigt, wie gesagt, einen Server. Das kann ein einfacher Computer wie ein Intel NUC sein (die Intel selbst nicht mehr baut), oder auch ein Mac, ein NAS oder ein speziell dafür optimierter Server wie der von Roon selbst angebotene
Nucleus sein (in verschiedenen Varianten erhältlich).
Außerdem benötigt man eine Roon-Lizenz. Die wird in erster Linie im Abo-Modell angeboten und kostet je nach Buchungsdauer zwischen 12,49 US-Dollar monatlich (jährlich kündbar) und 14,99 Dollar (monatliche Kündigung). Wer Abo-Modellen absolut nichts abgewinnen kann oder von vornherein ein langfristiges Investment in Roon beabsichtigt, wählt stattdessen die Lifetime-Lizenz, die 829,99 US-Dollar kostet (aktuell rund 578 Euro).
Genau diese Kosten für Hardware (Server) und die Software-Lizenz sind wohl einer der Hauptgründe, warum Roon trotz seines Erfolgs und seines Rufs zu keinem Massenphänomen geworden ist. Schließlich gibt es auch viele andere Wege, Musik ohne diese zusätzlichen Kosten zu streamen. Also was macht den Reiz von Roon überhaupt aus?
Kurz gesagt: Annehmlichkeit und Kompatibilität mit inzwischen zahllosen HiFi-Geräten von allen möglichen Herstellern, die streamingfähige Audiokomponenten anbieten.
Man könnte Roon als eine Sammelplattform für Musik aus unterschiedlichen Quellen bezeichnen. Die Roon-App dient dabei als gemeinsame Bibliothek für Musik aus Streamingdiensten (derzeit Qobuz, Tidal,
Highresaudio, KKBOX), Internetradio und eigene Musik auf Festplatte/SSD oder NAS. Die Roon-Library macht insbesondere zwischen Streaming und lokal gespeicherter Musik keine Unterscheidung. Für den Nutzer fühlt es sich an, als ob alles nur eine große Musik-Mediathek ist. Dazu bietet Roon zahlreiche großartige Möglichkeiten, Musik zu suchen, einfach nur zu stöbern und eigene Playlists zu erstellen.
Der vielleicht entscheidendste Punkt für den Erfolg von Roon basiert aber auf einer anderen Besonderheit. Um stets bestmögliche Klangqualität und das komfortabelste Benutzererlebnis zu bieten, haben die Roon-Macher ein eigenes Übertragungsprotokoll (RAAT – Roon Advanced Audio Transport) geschaffen, sowie eine Schnittstelle zur Steuerung von HiFi-Geräten. Damit das klappt, müssen an der Teilnahme interessierte Hersteller neue Produkte (Streamer aller Art) zu Roon senden, um es für das „Roon Ready“-Programm lizenzieren zu lassen. In diesem Prozess wird sichergestellt, dass die Komponente die notwendigen Steuerbefehle von Roon über das Netzwerk sauber verarbeitet.
Das Resultat daraus ist kurz gesagt, dass jede HiFi-Komponente mit Roon-Ready-Status garantiert problemlos an Roon angebunden und in den wesentlichen Funktionen über die Roon-App gesteuert werden kann.
Ein Beispiel: Ein Roon-Nutzer kauft sich einen neuen Streaming-Verstärker mit Roon-Ready-Status. Das Gerät wird zunächst mit dem Heimnetzwerk verbunden. Zur Verbindung mit Roon klickt man in der App anschließen nur auf Einstellungen > Audio. Dort wird das Gerät schon angezeigt. Nur noch „Aktivieren“ klicken und einen Namen vergeben – und schon kann die neue Komponente wie jedes andere Roon-Ready-Device via Roon beschickt werden. Einfacher geht es kaum.
Nur am Rande sei erwähnt, dass „Roon Ready“-Status dafür eigentlich nicht mal zwingend erforderlich ist, denn Roon funktioniert auch mit nahezu jedem USB-DAC und mit AirPlay- oder Google-Cast-Komponenten. Aber nur mit Roon Ready und via RAAT-Protokoll ist auch immer die bestmögliche Klangqualität und Interoperabilität gewährleistet.
Roon hat schon sehr früh damit begonnen, diese Zusammenarbeit mit HiFi-Herstellern zu forcieren und die Möglichkeit geschaffen, Musik auch per AirPlay und Google Cast (früher ChromeCast) zu senden. Bluetooth wird zwar im Prinzip nicht unterstützt (weil Roon stets den Ansatz maximaler Qualität verfolgte), aber es ist dennoch möglich, ein iPhone als Roon Endgerät auszuwählen und Musik via Roon an dieses zu senden, welches wiederum die Musik per Bluetooth an AirPods oder andere BT-Kopfhörer schickt. Nicht zuletzt bietet die separate App Roon ARC die Möglichkeit, die daheim auf dem Server gespeicherte Musik auch via Internet in alle Welt zu schicken.
Das ist tatsächlich nur eine recht kurze Zusammenfassung der Möglichkeiten von Roon. Hier geht es eigentlich um die Frage, warum Roon auf seinem Gebiet scheinbar so völlig konkurrenzlos ist. Und die Antwort darauf habe ich im Prinzip schon gegeben: Es ist das großartige Zusammenspiel mit inzwischen weit über 1.000 HiFi-Produkten.
Anders ausgedrückt: Wer bereit ist, für den (wirklich genialen) Komfort von Roon die nötige Server-Hardware einzusetzen und die Lizenzkosten als Abo oder Lifetime zu entrichten, wird das nur selten bereuen. Und wenn doch, vermutlich nur aus finanziellen Gründen, wenn die Kasse zu knapp ist. Solange eine Neuanschaffung Roon Ready ist, müssen sich Nutzer damit nie wieder an eine neue Musikverwaltung gewöhnen, keine neuen Playlists anlegen oder sich Gedanken darum machen, ob die vorhandenen und langfristig gepflegten Playlists mit der neuen Hardware funktionieren bzw. importiert werden können. Einfach das neue Gerät in Roon aktivieren und sofort fühlt man sich wieder zuhause. Dass Roon nebenbei auch den besten und ausgereiftesten Komfort aller Programme dieser Art bietet, macht die Sache nur umso attraktiver.
Die Hersteller von Audiokomponenten haben ihrerseits früh das Potential einer so verbindenden und komforttechnisch überlegenen Anwendung erkannt, sodass mit der Zeit das „Roon Ready“-Label zu einem wichtigen Verkaufsargument wurde. Heute verzichtet fast kein Hersteller streamingfähiger Geräte mehr auf diese Möglichkeit, was wiederum die Position von Roon weiter festigt.
Genau in diese Domäne einzubrechen, ist bisher keinem anderen Hersteller von Musikplayer-Software gelungen. Der Vorsprung durch das Roon-Ready-Programm scheint uneinholbar.
Die Konkurrenz kommt – hat es aber schwerEinige Jahre lang war Roon dank der beschriebenen Strategie mit seinen Vorteilen komplett allein auf weiter Flur. Erst jetzt zeichnen sich gewisse Alternativen am Horizont ab. Eine davon ist
Audirvāna.
Sie französische Software galt vor dem Siegeszug von Roon lange als eine der besten Möglichkeiten, seine Musik auf dem Mac zu verwalten und abzuspielen. Aber Audirvāna, das nicht auf einen Server angewiesen ist, war bis dahin auch „nur“ eine gute App, um die klanglichen Einschränkungen von macOS zu umgehen und Musik bitperfekt auszugeben. Und das mit einer sehr ordentlichen Musikverwaltung. Nach dem Triumphzug von Roon verschwand Audirvāna aber von vielen Macs. Auch von meinem. Der Hersteller hat die Anwendung außerdem zwischenzeitlich auf ein Abo-Modell umgestellt. Zwar gibt es mit
Audirvāna Origin (150 Euro) inzwischen auch wieder eine Kaufversion bzw. Lifetime-Lizenz, doch die verzichtet komplett auf die Integration von Streamingdiensten. Die Vollversion gibt es nur als Abo und kostet im Monat 6,99 Euro (Audirvāna Classic) oder jährlich 69,99 Euro (Audirvāna Studio).
Abgesehen von vielen Unterschieden im Detail, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll, hatte Audirvāna bisher nichts vergleichbares zum Roon-Ready-Programm. Das hat sich inzwischen aber geändert. „
Plāys with Audirvāna“ nennt sich das hier. In dieser Woche hat Audirvāna bekanntgegeben, dass aktuell 47 Partner daran teilnehmen. Darunter viele exotische High-End-Hersteller, aber auch bekanntere Marken, wie KEF, Pro-Ject und T+A. Im Vergleich zu Roon Ready ist das natürlich noch immer ein erheblicher Rückstand. Hier ist wohl ein langer Atem gefragt. Und ob das am Ende ausreicht, um die Vormachtstellung von Roon zu brechen oder zumindest auf Augenhöhe zu kommen, bleibt abzuwarten.
Ein wahrhaft kostengünstigere Lösung mit Server-Features verspricht hingegen
Plexamp zu werden. Plex ist „free to use“, aber es gibt auch hier Premium-Features (
Plex-Pass), die nur gegen Cash zu haben sind. Plex bietet nicht ganz den selben „Plug and Play“-Komfort von Roon und erfordert ein wenig mehr User-Einsatz für die Einrichtung eines Servers und die Installation von Plexamp, doch das ist kein Hexenwerk. Plex hat allerdings noch einen weiten Weg vor sich, genügend Hersteller von Audio-Streamern hinter sich zu bringen, die eine Unterstützung standardmäßig integrieren. Ein Beispiel für die Plex-Integration ist der
hier getestete eversolo DMP-A8.
Auch sonst kann Plex nicht ganz mit dem Komfort von Roon mithalten. Ebensowenig bei den audiophilen Features, die aber nicht jeden interessieren. Der Vorteil von Plex liegt ganz klar bei den deutlich geringeren Kosten. Für den Medienkonsum unterwegs mit Streaming vom eigenen Server ist Plex auch etwas komfortabler als Roon, weil dafür keine Extra-App wie Roon ARC benötigt wird. Einige User, die beides kennen, berichten, dass Plex in diesem speziellen Punkt sogar etwas zuverlässiger sein soll, als Roon ARC.
Fazit – Roon vorerst nicht in Bedrängnis Es hat lange gedauert, aber erste Ansätze, dem Erfolg von Roon auf einem kleinen aber hoch geschätzten Markt etwas entgegenzustellen, sind am Horizont erkennbar. Doch wer auch immer sich auf dieses Terrain wagt, braucht einen recht langen Atem. Audirvana könnte das Zeug dazu haben, sollte aber dringend auch für seine Premium-Variante eine Lifetime-Lizenz anbieten. Und Plex als (teilweise) kostenlose Server-Applikation für Streaming-Zwecke hat die nötige technische Basis, bräuchte aber eine Art „Plex-Ready“-Programm, um Herstellerübergreifend einheitliche Bedienung und ein besseres Plug-and-Play-Erlebnis bieten zu können. Bis dahin hat Roon noch reichlich Zeit, seine einmalige Stellung zu zementieren.
Interessant könnte es übrigens auch noch mal werden, falls Apple nächsten Monat tatsächlich den neuen
Mac mini M4 in einem noch kleineren Gehäuse und vielleicht sogar lüfterlos vorstellt. Der könnte ganz nebenbei zu einem der attraktivsten Roon Server überhaupt werden. REWIND wird es ausprobieren, sollte der neue mini wie erhofft kommen.