Qualcomm hat zur Hausmesse "Snapdragon Tech Summits" den neusten Smartphone-Prozessor Snapdragon 855 vorgestellt. Am zweiten Tag folgten technische Details, die Chipexperten den technischen Stand des Flaggschiff-Chips zeigen.
Das Urteil einiger fällt vernichtend aus: Apples A12 Bionic sei dem noch nicht erschienenen Produkt über ein Jahr voraus.
Andere sehen ein halbes Dutzend Bereiche, in der das Qualcomm-Silizium Apples Kreation schlägt.
Während der A12 4822 Punkte im "Single Core"-Bereich erreicht, sind es beim 855 trotz spezieller Anpassungen nur 3469. Geekbench-Performance: A12 Bionic zeigt dem 855 die RücklichterObwohl Mainstreammedien das Gegenteil verkünden (und dabei vermutlich von Qualcomms Pressemitteilung abschreiben), liegt Apples A12 zumindest im
Geekbench weiter vorne – und zwar sowohl im Singlecore- als auch im Multicore-Bereich. Das gilt ebenfalls für Huaweis Eigengewächs Kirin 980, der gerade das Licht der Welt erblickt hat. Er steht auf Rang 3. Interessant wären noch die Werte von Samsungs Selbstbau Exygnos 9820, sie sind jedoch noch unbekannt.
AI-Engine: 2 Milliarden mehr Rechenoperationen als der A12 BionicEinige Medien betonen die höhere Rechenleistung der Chip-Komponente, die für Berechnungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz zuständig ist. Eine solche Einheit integriert Qualcomm zum ersten Mal, nennt sie "Tensor Accelerator" und stellt sie gegen Apples "Neural Engine" auf. Sie soll laut Hersteller 7 Milliarden Berechnungen pro Sekunde ausführen können, Apples Gegenstück schafft 5 Milliarden. Qualcomm behauptet bei KI-Anwendungen sei der Snapdragon 855 "merklich schneller" als Apples A12 Bionic. Weitere Details bleiben verborgen. Beobachter bemerken, dafür brauche man auch entsprechende Software auf der Android-Plattform – es fehle aber an vernünftigen Entwicklungswerkzeugen, einem adressierbaren Markt und einem konsistenten Geschäftsmodell – im Gegensatz zu Windows oder iOS. Apples hingegen habe auf den letzten WWDC-Events alles dafür getan, um Drittanbietern vollumfängliche Möglichkeiten für die Entwicklung kommerzieller KI- und ML-Software (Machine Learning) an die Hand zu geben.
Grafikeinheit: "20 Prozent schneller" reicht nichtQualcomm kombiniert den neuen Prozessor mit der weiterentwickelten Grafikeinheit Adreno 640. Sie arbeitet laut Hersteller 20 Prozent schneller als ihr Vorgänger mit der Nummer 630. Die Einheit kennt man im Markt bereits, das Google Flaggschiff Pixel 3 hat die GPU mit dem Snapdragon 845 gepaart. Sowohl der A11 Bionic als auch der A12 Bionic hätten das Gerät sowohl bei den CPU- als auch bei den GPU-Werten "
völlig zerstört". Einen weiteren Vorteil in Sachen Grafikperformance hat Apple durch Metal, sodass die Kalifornier ihre Grafikhardware nah an der entsprechenden API und der iOS-Plattform entlang optimieren können.
Bildsignalprozessor: Neu ist daran nichtsApple hat den eigenen Bildsignalprozessor (ISP), der die Hauptarbeit der Kamera-App in iOS übernimmt, nicht benannt. Im Gegensatz dazu darf Qualcomms ISP nun Spectra 380 heißen. Dabei zeigte Apples Rivale Tiefenmessungen bei 60 FPS (Frames per second), Hintergrundeffekte und solche, die an Green-Screens erinnern. Beobachter stellten an diesen Effekten nichts Neues oder besonders Tolles fest, wenn man Apple als Vergleich hinzuzieht. Im Gegenteil seien die Tiefenkarten, die Apples iPhones erstellen und mit deren Daten sogar Entwickler arbeiten dürfen, die ausgefeiltere und qualitativ hochwertigere Technologie.
5G-Modem: Qualcomm punktet im KernbereichTatsächlich schnellere Datentransfers kann die Modemkomponente "Snapdragon X24" bewerkstelligen. Sie soll selbst im herkömmlichen LTE-Netz 2,0 Gbit pro Sekunde im Downlink ermöglichen. Einziges Problem: Es gibt kaum Netzwerke, die diese Geschwingigkeit liefern. Da sich die Mobilfunkbetreiber auf die nächste Generation konzentrieren, ist es gut möglich, dass in Deutschland beispielsweise niemals diese 4G-Geschwindigkeiten erreicht werden können. Auf Wunsch dürfen Handyhersteller den Snapdragon 855 auch mit 5G-Fähigkeit bestellen. Genaugenommen stellt diese Option dann aber das Modem X50 zur Verfügung, welches nicht im Chip integriert ist. Qualcomm bindet es über zwei PCI-Express-Lanes an. In realen Tests fielen die Übertragungsraten von Qualcomms Modems entgegen vieler Verlautbarungen selten sehr viel höher aus als die der Konkurrenz.
Wi-Fi 6: Noch nicht fertig, aber schon integriertUm Faktor vier schnelleres WLAN soll der neue Standard Wi-Fi 6 bringen. Der Snapdragon 855 unterstützt dieses WLAN, das nach alter Nomenklatur 802.11ax heißt. Auf dem Papier beherrscht der Chip zudem den Standard 802.11ay, der über mmWave-Kurzstreckensignale bis zu 10 Gbit/s erreichen soll. Allerdings braucht man im Gegensatz zu Wi-Fi 6 dazu einen weiteren Chip, der 855 unterstützt nur das Datenprotokoll.
Qualcomm zieht in vielen Dingen nachQualcomms Chip arbeitet jetzt auch mit HEIF, einem Bildformat, welches Apple vor zwei Jahren eingeführt hat. Der Schritt wird gelobt, ermöglicht er auf der Android-Plattform nun die entsprechende Hardware-Komprimierung von Bildern und Bildsequenzen. Auch dürfen Tools wie Google Lens nun Teile ihrer Berechnungen direkt auf dem Gerät ausführen – bei Apple schon länger usus. Google hat aufgrund des eigenen Geschäftsmodells wenig Interesse daran, dass die konzerneigenen Programme nicht mehr auf den eigenen Servern rechnen und dabei reichhaltig Daten sammeln.
Premium-Markt schrumpft für QualcommDas erste Smartphone, das den Snapdragon 855 tragen wird, stammt von Lenovo: Das
Lenovo Z5 Pro. Damit steigt die Motorola-Mutter in das Premiumgeschäft ein. Für Qualcomm ist dieser Schritt wichtig, denn Samsung verabschiedet sich zunehmend von dem Chip-Fabrikanten. Samsung entwickelt eine eigene Chipserie namens Exygnos, die der koreanische Smartphonegigant allerdings (noch) nur in die europäischen Versionen seiner Flaggschiffe einbaut. In den USA erscheint das S10 voraussichtlich mit Snapdragon 855. Zudem hat Samsung angekündigt, sich verstärkt der Smartphone-Mittelklasse zu widmen. Andere Hersteller verzichten ganz auf Premium-Modelle. Weitere Hersteller, wie Huawei, haben die Chip-Entwicklung komplett selbst übernommen. Es wird also eng auf dem Feld und hinter vorgehaltener Hand heißt es, die Android-Hersteller seien insgesamt eher an günstiger als an leistungsfähiger Hardware interessiert.