Fotografieren (nicht Knipsen) war einmal das liebste Hobby der Deutschen. Doch die Zeiten haben sich dramatisch geändert. Nicht nur durch den Siegeszug der immer besser werdenden Smartphonekameras haben traditionelle "Fotoapparate" in den letzten Jahren stark an Bedeutung verloren. Es scheint auch so, als wäre plötzlich jeder zum Filmemacher geworden. Ob seriöser Blogger oder einfach nur Selbstdarsteller, kreative Privatfilmer, Journalisten, die ihren Redaktionen neben Standbildern immer häufiger auch Videoschnipsel liefern sollen, oder auch Möchtegern-Spielbergs, die der Meinung sind, 4K (oder gar 8K) Auflösung wäre zum Filmen des Nachwuchses oder der Haustiere heute unerlässlich.
Ganz ehrlich? Ich versteh's nicht.
Fotografie ist mir persönlich nach wie vor am liebsten. Ein Bild sagt mehr als tausend Videos, wenn man keine ausgefeilte und minutiös geplante Story zu erzählen hat, sondern einfach nur den Moment einfangen, oder einen Sachverhalt darlegen will. Egal, ob privat oder beruflich. Vielleicht gehöre ich damit einer aussterbenden Art an. Wie sonst ist es zu erklären, dass Hersteller von Kameras, deren Design ganz eindeutig auf Fotografie ausgelegt ist, ausgerechnet den Videofunktionen dieser Geräte immer höhere Priorität einräumen?
Noch vor wenigen Jahren war die Möglichkeit, mit digitalen Fotokameras auch Videos aufnehmen zu können, eher ein Nebenprodukt, ein Zusatz-Feature, ein Gimmick. Spätestens mit der Vorstellung der Canon Spiegelreflexkamera EOS 5D MKII, mit der man ganz ausgezeichnete Filmprojekte schaffen konnte (wer erinnert sich noch an "Reverie" eines gewissen Vincent Laforet?), wurde das Video-Potential der mit vergleichsweise riesigen Bildsensoren ausgestatteten Fotokameras für filmische Projekte deutlich. Der Trend verstärkte sich mit stetig weiter entwickelter Technologie und mit dem Siegeszug der spiegellosen Systemkameras. – Und er gipfelt vorläufig in der Vorstellung der neuen
Sony a7S III.
Die Kamera ist auf den ersten Blick eindeutig als "Fotoapparat" zu identifizieren. Doch das täuscht. Die a7S III ist ganz klar ein auf professionelles Filmen spezialisiertes Werkzeug, das nebenbei
auch Fotos aufnehmen kann. Doch unbewegte Einzelbilder sind hier zur Nebensache verkommen. Wie die Telefonfunktion bei Smartphones.
Ein kurzer Blick auf einige der wichtigsten Features der Sony a7S III:
- Bildsensor mit 12 Megapixeln Auflösung
- 4K Video bis 120 Bilder/s
- 4K/60p Videoaufnahmen für "länger als eine Stunde" am Stück
- 16-Bit Raw Video-Ausgabe bis 60p
- 10-Bit 4:2:2 interne Aufnahme in H.265 und All-I H.264
- ISO 80-102.400 (Boost: 40-409.600)
- 5-Achsen-Bildstabilisator bis 5,5 Blendenstufen
- Verbesserter AF mit 759 Phasen-AF-Punkten auf dem Sensor
- zwei kombinierte Speicherslots für CFexpress Typ A oder SD-Card
- EVF mit 9,44 Mdots und 0,9x Vergrößerung, 120-Hz-Option
- Klappdisplay mit 1,4 Mdots
Das ist natürlich nur ein kurzer Auszug der kilometerlangen Featureliste. Aber es wirft ein grelles Licht auf die Zielsetzung der Kamera. Nur 12 Megapixel Auflösung? So viel wie ein aktuelles iPhone? Und das, wo heute in den Foren schon ein Aufschrei ertönt, wenn andere eine Kamera mit "nur" 20 MP herausbringen?
Mal abgesehen davon, dass selbst 12 MP für die meisten fotografischen Anwendungen völlig ausreichen (bis vor wenigen Jahren hatten Profi-SLRs wie die Nikon D3s auch nicht mehr Megapixel), ist das dem fotografisch orientierten Publikum heute nur noch schwer zu vermitteln. Für 4K-Video, was gerundet einer Auflösung von 8,3 MP entspricht, reicht es hingegen völlig. Und der Grund für die nach heutigen Maßstäben recht geringe Sensorauflösung liegt ganz eindeutig bei Forderungen aus der Videowelt. Der Sensor muss möglichst schnell ausgelesen werden können, um einerseits mit hohen Auflösungen/Bildraten aufzeichnen zu können und andererseits den gefürchteten Rolling-Shutter-Effekt zu vermeiden. Und um die Wärmeentwicklung im Griff zu behalten. Die a7S III soll auch dank eines neuen passiven Kühlkörpers deutlich längere Aufnahmen am Stück ermöglichen, als die kürzlich vorgestellten EOS-R-Kameras von Canon. Dafür muss Sony aber auch auf das 8K-Feature der R5 verzichten.
Andere interessante technische Highlights, wie der elektronische Sucher mit beeindruckenden 9,44 Mdots (das entspricht einem Monitor/Display mit 2048 x 1536 Pixeln), geraten da in den Hintergrund. Eigentlich ist das fast schon wie Perlen vor die Säue werfen, denn Videos werden mit solchen Kameras nur selten mit dem Auge am Sucher aufgenommen. Eher werden dafür externe Displays montiert. Laut DPReview scheint der Sucher zudem einige technische Einschränkungen zu haben, so dass seine hohe Auflösung nicht in jeder Situation nutzbar ist.
Ein Novum sind auch die beiden Speicherkartenslots der a7S III. Diese eigenen sich sowohl für die weit verbreiteten und relativ kostengünstigen SD-Karten nach UHS-II-Standard, oder für die noch brandneuen CFexpress-Karten vom Typ A. Diese sind schneller als alle heutigen SD-Karten, aber auch teurer und nicht ganz so flott, wie die etwa doppelt so großen CFexpress Typ-B-Karten. Mit 80 GB (CEA-G80T ) kostet so eine Karte 229 Euro, für 160 GB (CEA-G160T) ruft der Hersteller 439 Euro auf. Einen passenden Kartenleser (MRW-G2 ) bietet Sony für 139 Euro an. Bei Amazon sind die von Sony vorgestellten Karten dieses Typs noch nicht gelistet. Ob sie sich durchsetzen werden, ist völlig offen.
Sehr erfreulich ist auch, dass Sony es endlich geschafft hat, sein Menüsystem besser zu organisieren und es per Touchdisplay bedienbar zu machen. Auch die Gehäuse-Ergonomie sowie die Tasten und Schalter wurden optimiert und die a7S III ist die erste a7-Serie Kamera mit einem voll schwenkbaren Display.
Butter bei die Fische: Die a7S III dürfte der feuchte Traum vieler Video-Enthusiasten sein, die nach einer (vielleicht) noch bezahlbaren Vollformatkamera mit Wechselobjektivsystem für ihre Filmprojekte suchen und für die Fotografie nebensächlich ist. Um sich diesen Traum zu erfüllen, müssen, wenn die a7S III im September in den Handel kommt, rund 4.200 Euro bereit gehalten werden.
Nur um das klarzustellen: Sony hat die Fotogemeinde natürlich keineswegs abgeschrieben. Stattdessen bietet der Elektronikmulti andere, eher auf Still-Shooter zugeschnittene Kameras wie die
a9 II an. Es ist jedoch sehr auffällig, wie sehr Videofeatures bei spiegellosen Systemkameras im SLR-Style an Bedeutung gewonnen haben. Ob das der richtige Weg ist, um den sinkenden Verkaufszahlen für anspruchsvolle Systemkameras entgegen zu wirken? Erschwinglicher werden die Produkte durch einen technologischen Wettlauf mit Videofeatures sicher nicht.
Alle Details zur neuen Sony a7S II finden Sie hier auf der
Produktseite, oder natürlich auf den einschlägigen Foto-Sites wie DPReview bis ins Mikroskopische examiniert.