Das Internet ist voll mit Film- und Serienkritiken. Dank der fantastischen
IMDB (Internet Movie Data Base) ist dabei auch jeder selbst ein eigener Kritiker. Zu vielen der bei IMDB gelisteten Serien und Spielfilmen (und das sind nahezu alle jemals veröffentlichten) gibt es hunderte oder gar tausende, bei manchen sogar hunderttausende Bewertungen und zahllose schriftliche Kritiken.
Mir geht es natürlich nicht darum, IMDB Konkurrenz zu machen. Im Gegenteil. IMDB ist auch für mich ein steter Quell der Information, wenn es um Wissenswertes rund um Film- und Serienproduktionen geht. Aber die auf IMDB zu findende Flut von Nutzerrezensionen ist leider auch sehr unübersichtlich und – wie Amazon Produktrezensionen – schwer nach Relevanz und Qualität zu filtern. Aber eines habe ich im Laufe der Zeit gelernt: Der Durchschnitt der IMDB-Sternebewertungen deckt sich (bei ausreichend vorhandener Anzahl) fast immer mit meiner persönlichen Einschätzung. So sind die Bewertungen dort auch für mich eine echte Hilfe bei der Wahl neuer Filme und Serien, auch wenn deren Inhaltsbeschreibung mal sehr dürftig sein sollte.
Ich empfehle jedem Film- und Serienfan die Benutzung der IMDB-App aus dem iOS App Store. Insbesondere die iPad-App ist dabei mein ständiger Begleiter beim Streaming-Genuss.
Im Rahmen der wöchentlichen REWIND-Berichte sollen gelegentliche TV-Rezensionen das Angebot etwas auflockern. Bei den hier besprochenen Filmen und Serien geht es hauptsächlich um "Geheimtipps", weniger um Blockbuster, von denen sowieso jeder spricht. Weniger Mainstream, sozusagen. Wobei ich nichts ausschließen möchte.
Takt und AuswahlDie Rewind Serien- und Filmempfehlungen sollen nicht wöchentlich erscheinen, sondern in unregelmäßigen Abständen, nur wenn sich etwas besonders erwähnenswertes ergibt. Meine Auswahl beschränkt sich dabei vorerst auf Inhalte von Netflix und Amazon Prime. Andere Streamingdienste habe ich derzeit nicht abonniert. Nicht etwa, weil diese keine empfehlenswerten Inhalte bieten würden. Aber die Auswahl insbesondere bei Apple TV+ und Disney+ ist mir derzeit noch zu gering, um ein zusätzliches Abonnement für mich zu rechtfertigen, zumal sich bei den beiden erstgenannten bei genauer Suche genug hervorragendes Material findet, um selbst Extrem-TV-Gucker wie mich ausreichend zu beschäftigen. Dass später auch Empfehlungen von anderen Diensten dazu kommen, schließe ich aber nicht aus.
Das Sternchen-BewertungsschemaBevor ich zu meinem ersten Tipp komme, hier noch etwas zu meinem Bewertungsschema. Grundsätzlich orientiere ich mich an dem Zehn-Sterne-System von IMDB. Das bietet eine ausreichend hohe "Auflösung", im Gegensatz zu beispielsweise Netflix' nur Daumen-hoch-oder-runter-System.
Die Bewertungen sind dabei wie folgt eingeteilt: 1 bis 3 Sterne entspricht einem Daumen runter, 4-6 Sterne Daumen quer, 7-10 Sterne Daumen hoch. Wobei Bewertungen mit einem oder zehn Sternen bei mir nur sehr selten vorkommen. Eine Sendung mit einem Stern würde ich wahrscheinlich nie bis zum Ende sehen und zehn Sterne erhalten nur ganz wenige Ausnahmeerscheinungen von für mich überragender Qualität. Grafisch dargestellt:
Damit kommen wir zu meiner heutigen Rezension…
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"ERASED" – Derzeit auf Netflix verfügbarDie japanische Mini-Serie "ERASED" (zu deutsch: Ausgelöscht) ist bei IMDB mit "Drama, Fantasy, Mystery, Science-Fiction, Thriller" getagged. Tatsächlich enthält die zwölfteilige, in sich abgeschlossene Geschichte Elemente aus allen diesen Bereichen, wobei Hardcore-SF-Fans aber nicht zu viel erwarten sollten. Es gibt ein Zeitreise-Element, doch das dient im Prinzip nur als Vehikel für die Story und wird nicht näher erläutert.
Die Story in Kurzform in meinen Worten – ohne Spoiler: Das Jahr 2006. Ein junger Mann, Satoru Fujinuma, 29 Jahre alt, Manga-Zeichner und Pizzabote von Beruf, erlebt gelegentlich und scheinbar willkürlich kurze Zeitsprünge von wenigen Minuten in die Vergangenheit. Diese treten immer dann auf, wenn kurz darauf etwas geschieht. Etwa ein Unfall, den unser Protagonist nun verhindern kann, wenn er die Situation rechtzeitig erkennt und einschätzen kann.
Eines Tages wird Satoru nach einem schlimmen persönlichen Schicksalsschlag durch einen Zeitsprung deutlich weiter als sonst in das Jahr 1988 und in seine Kindheit zurückversetzt. Als Junge von 10 bis 11 Jahren, aber mit dem Wissen des 29-jährigen Satoru, muss er nun zusammen mit seinen Schulfreunden damals geschehene Entführungen und Ermordungen mehrerer Mädchen seines Alters verhindern, um damit auch das Geschehen in seiner Zukunft zu verändern.
"ERASED" gibt es sowohl in einer Anime- (2016), als auch in einer Realverfilmung (2017). Beide Versionen stehen derzeit bei Netflix zur Verfügung. Ich habe mir zunächst die Anime-Version angesehen – und war sehr angetan. Alle 12 Folgen, jede im Durchschnitt 22 Minuten lang, habe ich an zwei Abenden quasi "gebinged". (Falls Sie die letzten Jahre hinter dem Mond gelebt haben: Binge Watching ist vom englischen Binge Drinking [Komasaufen] abgeleitet.) Direkt am Tag darauf habe ich mir auch die Realverfilmung angesehen.
Beurteilung: Die Serie hat einen sehr ruhigen Ton. Es gibt so gut wie kein Crash-Boom-Bang oder "flashige" Elemente, wie in japanischen Animes sonst oft anzutreffen. Aber an Spannung mangelt es nicht! Besonders erfreulich finde ich auch, dass die ganze Erzählung einen sehr höflichen, freundlichen Ton anschlägt, wie es heute nur noch selten und wenn dann meistens in asiatischen Produktionen vorkommt. Hier wird nicht ständig wie in westlichen Produktionen geflucht und mit unflätigen Ausdrücken um sich geworfen. So stellt man sich das Klischee der ausgemachten japanischen Höflichkeit vor. Besonders grausame oder Nacktszenen gibt es übrigens auch nicht. Die Serie ist FSK 12.
Die Höflichkeit aber auch die Eloquenz der Dialoge erstreckt sich auch auf die Kinderdarsteller, was manchmal etwas irritierend wirkt. Kein Kind von zehn, elf Jahren, auch nicht in Japan, redet so erwachsen daher, wie in dieser Geschichte. Auf der anderen Seite bildet genau dies einen erholsamen Gegenpol zu den Klischees über Kinder und Jugendliche in westlichen Filmproduktionen, in denen die Jungdarsteller oft wie dumme kleine Menschen rüberkommen, die ohne Unterlass dumme Entscheidungen treffen, was nur dazu dient, die Handlung voran zu treiben und eine permanente Spannung aufrecht zu erhalten. Nur klappt das nicht, wenn die Handlungen einfach nur dämlich sind.
"ERASED derzeit auf Netflix: Links das Cover der Anime-Serie, rechts das der Realverfilmung.
So ist es wunderbar erfrischend, den ausgezeichneten Kinderdarstellern in "ERASED" (der Realserie) bei ihren zwar nicht immer von Erfolg gekrönten aber wenigstens weitgehend überlegten Aktionen zu folgen.
Die Handlung spielt nach dem großen Zeitsprung Satorus nicht ausschließlich in der Vergangenheit. Ohne zu viel zu verraten: Es gibt mehrere Sprünge. Aber keine Angst: Dies ist keine weitere Murmeltiertag-Variante, in der der Protagonist ein und den selben Tag immer wieder erlebt. Zudem bietet die Handlung einige interessante Wendungen. – Da bleibt man dran.
Es gibt einige sehr traurige Momente, die zum Glück ohne allzu übertrieben Pathos vermittelt werden. Die Story ist nicht nur ein Zeitreise-Rätsel, es ist auch eine Allegorie auf den Wert von Freundschaft und Gemeinschaftlichkeit. Das Ganze verpackt in eine wirklich wunderbare Geschichte, die Heranwachsende wie Erwachsene gleichermaßen zu begeistern vermag.
Unterschiede Anime und RealverfilmungWichtig zu wissen: Während die Anime-Serie deutsch synchronisiert ist, gibt es die Realverfilmung derzeit nur im japanischen Original mit deutschen Untertiteln. Was aber niemanden davon abhalten sollte, die Realversion ebenfalls anzuschauen.
Die ein Jahr nach der japanischen Zeichentrick-Serie entstandene Realverfilmung von "ERASED" bringt die Geschichte beinahe Szene-für-Szene und fast Wort-für-Wort mit echten Schauspielern auf den Bildschirm. Sogar die Kleidung und die Locations sehen fast genau wie im Anime aus. – Beeindruckende Detailliebe.
Das geht aber nur bis zu einem gewissen Punkt so. Die Realserie entwickelt sich etwas schneller, erzählt das Ende dafür ausführlicher und mit Szenen, die im Anime nicht oder anders vorkommen. Hier ist die Realverfilmung vermutlich näher an dem der Story zugrunde liegenden Manga, den ich nicht kenne. Dennoch ist auch das knappere Ende des Anime nicht weniger gelungen. Die Realserie gibt durch die zusätzlichen Szenen jedoch einige zusätzliche Hintergrundinformationen preis.
FazitMüsste ich die Serie nach traditionellen „Maßstäben“ wie Humor, Action, Sex und Gewalt beurteilen, wäre es eine glatte Nullnummer. Die herzergreifende Menschlichkeit der Geschichte und das Rätsel um die Verbrechen sind nur zwei der Dinge, die die Serie aus aus dem üblichen Einheitsbrei hervorheben. Das gilt sowohl für die Anime-, wie für die Realverfilmung. Also, am besten beide ansehen!
Rewind-Wertung: 8 von 10 Sternen für beide Versionen. – Mit einem hauchdünnen Vorsprung für die Anime-Version.