Affinity Publisher rüttelt am ThronSchon seit mehreren Jahren arbeitet Serif bzw. Affinity an einem InDesign-Konkurrenten mit dem schlichten Namen „Publisher“ (für
Mac und Windows). Ein Projekt, dass sich ganz offensichtlich als große Herausforderung darstellt. Nach langer Wartezeit kam nun aber vor knapp einem halben Jahr eine frei benutzbare Beta-Version von Affinity Publisher (im Folgenden kurz AP genannt) heraus.
Bereits nach wenigen Stunden mit AP war klar, dass die Beta schon einen sehr hohen Reifegrad hatte, auch wenn sich an vielen Stellen noch Funktionslücken und Bedienungs-Hemmnisse zeigten. Trotzdem – und entgegen der üblichen Praxis für Beta-Software – habe ich AP seitdem produktiv für meine tägliche Arbeit eingesetzt. (Mit dem
noch funktionierenden InDesign CS6 als Fallback-Option, falls notwendig.) Auf diese Weise konnte ich AP am besten kennenlernen und fand heraus, dass sich damit problemlos universell nutzbare Druckerzeugnisse als PDFs (und in anderen Formaten) erstellen lassen, sodass ich nach kürzester Zeit gar nicht mehr auf InDesign zurück greifen musste.
Zwischenzeitlich sind ca. zehn Updates für die AP(Beta) erschienen, mit denen zahlreiche kleinere und größere Bugs gefixt, neue Funktionen ergänzt und bestehende optimiert wurden. Der aktuelle Stand lässt vermuten, dass die Release-Version einigermaßen planmäßig im Sommer oder Herbst erscheinen könnte. Also vielleicht gerade noch rechtzeitig, bevor macOS 10.15 erscheint und InDesign CS6 auf dem Mac nicht mehr läuft.
Dieses (schon etwas ältere) Teaser-Video gibt einen kurzen Einblick in die Fähigkeiten von Affinity Publisher.
Was macht Affinity Publisher besser?Ich möchte an dieser Stelle nicht das Konzept und die Funktionen von AP im einzelnen beschreiben. Das wäre bei dem Funktionsumfang ein aussichtsloses Unterfangen. Außerdem soll dies kein Tutorial werden. Diese bietet Affinity selbst in Form von
Erklärvideos an. Vielmehr möchte ich Ihnen meine ersten Eindrücke im Umgang mit der App vermitteln und ob AP damit tatsächlich als InDesign-Ersatz in Frage kommt. Die kurze Antwort vorweg: Absolut! – Es sei denn, sie sind auf spezielle Funktionen angewiesen, die momentan noch nicht in AP geboten werden. Natürlich hat Adobe einen jahrzehntelangen Vorsprung, was den Ausbau des Funktionsumfangs angeht. Dennoch muss ich meinen Hut vor Affinity ziehen, denn alles Wesentliche ist bereits implementiert und funktioniert (mit kleineren Einschränkungen) hervorragend.
AP ist, wie schon erwähnt, eine von der ersten Codezeile an neu geschriebene Software. Es enthält keine Programmteile älterer Versionen. Das bedeutet auch: AP ist natürlich komplett 64 Bit und unterstützt moderne Betriebssystem-Ressourcen, wie zum Beispiel Metal für die Grafikdarstellung. Die Performance ist (hier auf dem iMac Pro getestet) grandios! Lästige InDesign-Einschränkungen, wie eine verpixelte Darstellung von platzierten Bildern wählen zu müssen, um ein flüssiges Arbeiten zu gewährleisten, gibt es hier nicht. In AP geschieht praktisch alles in Echtzeit und mit äußerst geschmeidigem Ablauf, selbst wenn es sich um komplexe Layouts mit vielen hochauflösenden Grafiken/Bildern handelt. Jedenfalls bin ich noch an keine Grenzen gestoßen. Die App startet schnell und läuft sehr stabil. Ich hatte bis jetzt nur einen einzigen Absturz mit einer frühen Beta-Version.
Auch zeitgemäß: Im Gegensatz zu Adobes Apps „verseucht“ Affinity mit seinen Programmen nicht das ganze System mit dutzenden kleinen Hilfsprogrammen und quer über die Festplatte verstreuten Dateien.
Für Layouter ist natürlich enorm wichtig, ihre Arbeiten in Formate zur Weitergabe/-Verarbeitung wie PDF exportieren zu können. AP bietet hierfür alle erforderlichen Ressourcen. Es lassen sich PDFs unterschiedlicher Kompatibilitätsstufen und mit allen möglichen Einstellungen erzeugen. Bislang haben meine Erzeugnisse bei keinem einzigen Drucker Probleme verursacht. – Mit einer Ausnahme, aber an der ist nicht Affinity Schuld: So lassen sich in InDesign keine Layouts anlegen, die größer als 5486,4 mm sind. (In dem Fall muss maßstäblich verkleinert werden.) In AP funktionieren größere Layouts aber problemlos. Nachdem ich ein sechs Meter breites Banner gestaltet und als PDF ausgegeben habe, meldete sich die Druckerei zurück, dass diese in Adobe Acrobat nicht korrekt angezeigt würde. Wie sich herausstellte, lag es auch hier an der Größenbeschränkung in den Adobe-Apps. Die PDF an sich war einwandfrei.
Für viele ist die wohl wichtigste Frage, ob InDesign-Dokumente (.indd) in AP importiert werden können. (Dessen Format nennt sich übrigens .afpub) Die Antwortet lautet derzeit leider: nein. Für eine spätere Version – hoffentlich bis zum Release – ist das aber angedacht. Momentan kann man sich recht gut mit Copy&Paste behelfen, auch wenn das mit gewissen Einschränkungen verbunden ist. Komplexe Layouts mit vielen Elementen auf einen Schlag zu kopieren, ist weniger empfehlenswert. Besser die Elemente nacheinander übernehmen. Wird beispielsweise ein Textkasten von ID nach AP kopiert, erscheint dieser nicht als Ganzes in AP, sondern jede Zeile in einer eigenen Textbox.
Besser ist es, statt der Box den eigentlichen Text in InDesign zu markieren, in die Zwischenablage zu kopieren, dann in AP einen neuen Textrahmen anzulegen und den Text dort hinein zu kopieren. Je nach Komplexität der Textbox bzw. dem Textfluss erfordert das ggf. einiges an Nachbearbeitung. Das Kopieren von Vektorgrafiken klappt in der Regel recht gut. Auch Pixelbilder können aus ID übernommen werden, wobei diese dann in das AP-Dokument eingebettet werden.
Apropos: AP lässt dem Nutzer grundsätzlich die Wahl, ob Objekte in die Datei eingebettet oder über den Dateipfad mit dem Speicherort verknüpft werden sollen. Über den Resource Manager kann das auch für jedes Objekt einzeln festgelegt werden.