Test Audeze iSine 10 und iSine 20 magnetostatische In-Ear Kopfhörer: Paradigmenwechsel im Gehörgang
Audeze iSine 10 und 20 – Praxis und KlangIn-Ears herkömmlicher Bauweise, also nach dem geschlossenen Prinzip, sind gewöhnungsbedürftig und nicht jedermanns Sache. Ich zum Beispiel konnte mich nicht so recht daran gewöhnen, neben dem Fremdkörper in den Gehörgängen auch noch akustisch so von der Außenwelt abgeschnitten zu werden. Musik empfinde ich dabei nicht mehr so sehr als Genuss, sondern mehr wie eine hochkonzentrierte Verabreichung von Tönen per Feuerwehrschlauch. – Überspitzt ausgedrückt. In Wahrheit ist es natürlich so, dass unser Gehirn auch recht gut im "Verdrängen von Problemen" ist. Heißt: Wenn man es zulässt, gewöhnt man sich recht schnell an gewisse Unzulänglichkeiten. Wer aber regelmäßig mit weniger kompromissbehafteten Systemen hört, wie hervorragenden, offenen Over-Ear-Kopfhörern, der kann die Schwachpunkte von geschlossenen In-Ears nie ganz ausblenden.
Von daher war mein erster Hörkontakt mit den Audeze iSine 10 und 20 ein echtes Aha-Erlebnis. Offene In-Ears habe ich bis dato nie gehört. Paradoxerweise irritiert auch das anfänglich ein wenig, wenn man sonst nur geschlossene In-Ears kennt. Ein Stöpsel im Ohr, der einen akustisch nicht stark von der Außenwelt abschneidet ist irgendwie … seltsam. Allerdings habe ich das schnell überwunden. Was bleibt, ist das leicht unangenehme Gefühl von Fremdkörpern im Ohr, aber abzüglich des Isolationseffekt macht zusammen ein nur halb so unangenehmes Gefühl wie sonst.
Den Tragekomfort der beiden in den Maßen identischen iSine-Modelle ist sehr gut. Trotz ihrer recht großen Gehäuse sind sie sehr leicht (ca. 12 g pro Hörer mit Bügel, ohne Kabel) und sitzen zusammen mit einem passenden Bügel sehr sicher. Sogar ich als bekennender In-Ear-Verweigerer komme mit dem Komfort der iSine ausgezeichnet zurecht. Allerdings war es schon etwas zeitaufwendig und fummelig, bis ich erst mal die richtigen Bügel gefunden und sie optimal angepasst hatte. Nur das Einsetzen ist wegen der Bügel für meinen Geschmack etwas mühsam.
Die beste Entschädigung dafür wäre ein wirklich guter Klang. Und was soll ich sagen? Die iSine 10 und 20 enttäuschen in dieser Hinsicht nicht!
Zunächst einmal das Offensichtliche: Die offene Bauweise verleiht den Audeze In-Ears ein
beinahe genauso gute Luftigkeit, wie es sonst nur die besten offenen Bügelkopfhörer bieten. Das Klanggeschehen wird dadurch weniger aufdringlich und wirkt nicht mehr so, als würde man sie intubiert bekommen. Schon das allein macht (für mich!) einen riesengroßen Unterschied aus.
Nun könnte man befürchten, die Hörer würden dadurch weniger dynamisch und vor allem bassärmer klingen, aber das ist absolut nicht der Fall. Zunächst ist Audeze das Kunststück gelungen, die Magnetostaten ausreichend empfindlich zu konstruieren, sodass sie auch an schwachen Amps ausreichend laut spielen können. Der günstigere iSine 10 ist dabei etwas bassstärker als der iSine 20 abgestimmt. Der wiederum schafft einen noch saubereren und tiefreichenderen Bass. Insgesamt wirken die tiefen Frequenzen bei beiden deutlich ansatz- und trägheitsloser, als es mit herkömmlichen In-Ears der Fall ist. Je offener das System, desto "masseloser" wirkt das ganze Klanggeschehen. Die vergleichsweise sehr großen und leichten Membranfolien spielen dabei gewiss eine wichtige Rolle. Alles in allem kommen die Audeze In-Ears damit auf ein ähnlich hohes Niveau, wie beispielsweise ein beyerdynamic Amiron home oder DT 1990 Pro Bügelkopfhörer (
Testbericht), ohne jedoch ganz deren wunderbar neutrale und verfärbungsfreie Spielweise zu erreichen. Aber die iSine sind nahe dran!
Apropos Klangverfärbung: In diesem Punkt kann sich der iSine 20 deutlich von seinem kleineren Bruder absetzen. In Sachen Natürlichkeit legt er noch mal eine Schippe drauf. Für den Einsatz unterwegs ist der iSine 10 mit seiner etwas stärkeren Bassbetonung aber dennoch der vielleicht etwas empfehlenswertere Hörer. Wer gleichermaßen unterwegs (am besten per Cipher-Kabel) wie zuhause an einem hochwertigen Kopfhörerverstärker Musik genießen will, greift aber besser zum iSine 20, der insgesamt noch ausgewogener wirkt.
Übrigens: Wenn Sie sich fragen, wie laut die offenen iSine-Hörer nach außen sind: nicht sehr! Sitznachbarn können den Ton zwar hören, aber in lauten Transportmitteln sollte der nach außen dringende Schall kaum eine große Belästigung sein. Noch ein Vorteil: Beim Radfahren oder anderen Außenaktivitäten im öffentlichen Verkehr bekommt man Warnsignale viel besser mit. Die Musik wird aber von den Außengeräuschen kaum beeinträchtigt. Ich halte die iSine daher für voll mobil- bzw. reisetauglich. Sie sind keineswegs nur für leise Umgebungen geeignet.