Cambridge Audio P100: Nachhaltigkeit nicht nur als SpruchDie Material- und Verarbeitungsqualität des P100 ist ausgezeichnet. Und hier gibt es auch eine unsichtbare Eigenschaft des P100 anzumerken. Cambridge hat nämlich, weil ihnen das Thema wirklich wichtig ist, 50% recycelte Kunststoffe, 100% wiederverwendete Seltene Erden, sowie veganes Leder und einige Aluminiumteile eingesetzt. Die Verpackung ist komplett Plastikfrei.
Ein weiteres Detail zur Nachhaltigkeit – und eins der wesentlichsten Unterscheidungsmerkmale des P100 – ist die Möglichkeit, den Akku selbst wechseln zu können. In Kopfhörern ist das aus gutem Grund eine nur sehr selten zu findende Möglichkeit, denn die kleinen und speziellen Lithium-Energiespeicher können nicht ohne weiteres wie normale Batterien hinter einer Klappe versteckt werden. Sie sind in aller Regel konstruktionsbedingt direkt mit der Elektronik verlötet, an die der Kunde nicht so ohne weiteres heran kommt. Die Gefahr einer Beschädigung ist zu groß, zudem sind solche Batteriefächer mit Klappen immer ein konstruktiver Schwachpunkt.
Cambridge bietet für den P100 eine ganz besondere Lösung in Form eines „
Austausch-Akku-Kit“ an. Das ist mit 30 Euro erfreulich günstig und beinhaltet neben einem neuen Akku auch das nötige Werkzeug und neue Earpads. Der Wechsel ist also nicht ganz so einfach, wie der Austausch von AAA-Batterien in einer IR-Fernbedienung, aber Cambridge traut seinen Kunden diese kleine Operation zu. Im Sinne der Nachhaltigkeit ist das aus meiner Sicht eine Lösung, die Beifall verdient. Nur zum Vergleich: Einer der wenigen Hersteller, der ebenfalls den Akkutausch in seinen BT-Over-Ears ermöglicht, ist T+A mit dem Solitaire T (
Testbericht). Doch dafür muss der Kopfhörer eingeschickt werden.
Auch mechanisch macht der P100 angesichts seines Preises von 279 Euro einen sehr guten Eindruck. Er fühlt sich solide an, besitzt eine praktisch spielfreie und geräuschlose Aufhängung und saubere, enge Spaltmaße.
Zu der angenehmen Stabilität der Kopfhörer trägt der Umstand bei, dass Cambridge auf einen Klappmechanismus zum kompakten Verstauen verzichtet. Die Gehäuse lassen sich lediglich in eine flache Position drehen, um den Hörer in das mitgelieferte ovale Transportcase legen zu können. Der Nachteil dabei: das Case ist etwas dicker und insgesamt voluminöser als die Cases vom Hörern mit Klappmechanismus. Der Vorteil wiederum: weniger Origami und Fummelei, um den Hörer im Case zu verstauen. Einfach in einem Zug vom Kopf nehmen, dabei ganz automatisch der Bewegung folgend die Hörer in die flache Position drehen und ins Case legen. Allerdings muss der Bügel dafür zusammengeschoben werden.
Im Bereich unter dem Bügel findet sich im Case ein halbkreisförmiges Fach mit festem, magnetischem Deckel. Darin können die beiden mitgelieferten Kabel verstaut werden: ein USB-C-Kabel zum Aufladen und für eine digitale Musikverbindung vom Mac oder iPad, und ein Adapterkabel von 3,5 mm Klinke (analog) auf USB-C (digital). Daraus folgt: der P100 kann zwar per Kabel betrieben werden, hat aber keinen echten Passivmodus bei dem die interne Elektronik komplett ausgeschaltet ist, wie zum Beispiel der T+A Solitaire T es bietet. Mit komplett leer gefahrenem Akku geht beim P100 nichts.
Womit wir aber schon wieder bei einem Highlight des P100 wären. Dass der Akku mal komplett leer ist, dürfte in der Praxis nur selten vorkommen. Voll aufgeladen soll dieser nämlich für bis zu 100 Stunden Dauerbetrieb ausreichen. – Ohne Noise Cancelling allerdings. Ist das eingeschaltet, sind es immer noch fantastische 60 Stunden. Kleines (theoretisches) Rechenbeispiel: Wer jeden Tag mit der Bahn je eine halbe Stunde zur Arbeit und wieder zurück fährt, braucht sich satte 60-100 Tage lang keine Gedanken um den Akku zu machen. Die Gefahr dabei ist lediglich, dass man es nach so langer Zeit komplett vergisst, den P100 mal wieder nachzutanken.
Meines Wissens gibt es derzeit keinen anderen BT-Over-Ear von einem renommierten Hersteller, dessen Akku so lange durchhält. Nur zum Vergleich: die Saftbar der Apple AirPods Max hat nur für maximal 20 Stunden geöffnet (mit ANC). Viel besser ist da schon der
Technics EAH-A800, der 50 Stunden mit und 60 Stunden ohne ANC durchhält. Der P100 legt da noch mal fast zwei volle Tage Musikmarathon drauf.
Bluetooth der neuesten GenerationEine Möglichkeit, sich technisch und funktional von Konkurrenten abzuheben, die schon etwas länger auf dem Markt sind, ist der Einsatz der neuesten Generation Bluetooth-Chips und neueste Codecs. Nicht, dass der P100 mit seinem Bluetooth-5.3-Chip ein Alleinstellungsmerkmal hätte, aber zur Zeit gibt es noch nicht sehr viele Kopfhörer mit dieser Generation der Qualcomm-Chips. Tatsächlich kommen auch jetzt immer noch Kopfhörer auf den Markt, die noch keinen 5.3-Chip integriert haben. Vielleicht, weil die Entwicklung länger gedauert hat, oder weil nicht vorausschauend genug geplant wurde. Jedenfalls macht es Sinn, neueste Chipsets einzusetzen. Hinweis: Es gibt tatsächlich auch schon
Bluetooth 5.4. Aber dessen Hauptfeature Namens "Periodic Advertising with Responses" (PAwR) ist für Kopfhörer irrelevant.
Das Bluetooth im P100 bietet die Möglichkeit, eine sogenannte Multipunkt-Verbindung herzustellen. Damit kann der P100 mit mehreren Quellengeräten gekoppelt werden. Beim Wechsel von einer auf eine andere Quelle – etwa vom iPhone zum Fernseher – muss dank Multipoint das andere Gerät nicht jedes mal neu eingerichtet werden. Ein anderes Beispiel: Ist der Kopfhörer gerade mit dem Mac verbunden, um während der Arbeit Musik zu hören, und plötzlich kommt ein Anruf auf dem iPhone, schaltet der P100 automatisch in den Telefonmodus und das Gespräch kann mit den Kopfhörern via iPhone geführt werden. Danach schaltet der Hörer dann wieder zurück zum Mac und die Musik spielt wieder.
Okay, Multipoint-Verbindung ist jetzt kein spezielles Feature von Bluetooth 5.3. Das gibt es meines Wissens schon sein 5.0. Aber Multipoint ist längst nicht in allen HiFi-BT-Kopfhörern verfügbar. Schön, dass Cambridge hierauf nicht verzichtet hat. Noch brandneu ist hingegen das Qualcomm-eigene aptX-Lossless. (Der Hersteller nennt das zur besseren Verwirrung auch „Snapdragon Sound“.) Das ist Teil des Qualcomm aptX-Adaptive-Protokolls und verspricht im Idealfall erstmals
verlustfreie CD-Qualität über Bluetooth. Ich schreibe bewusst „im Idealfall“, denn es gibt einiges Wenn und Aber.
Zunächst einmal muss auch die Quelle diesen Lossless-Standard unterstützen. Alle Apple-Geräte fallen damit schon mal durchs Raster, denn die bieten nur das altbekannte und deutlich verlustbehaftete AAC, was der P100 natürlich auch beherrscht. Aber auch sonst gibt es derzeit nur wenige BT-Sender, die aptX Lossless beherrschen. Und davon abgesehen muss auch bei der Funkverbindung wirklich alles optimal sein, denn sonst fällt die Datenrate
adaptiv auf eine niedrigere und wieder verlustbehaftete Leistung ab. Hier gilt vor allem: schön, dass der P100 das bietet, aber in absehbarer Zeit werden nur wenige in den Genuss kommen, der Musik wirklich verlustfrei per Bluetooth zu lauschen. Und von HiRes ist hier erst gar nicht die Rede. Das bleibt vorerst kabelgebundenen Kopfhörern mit entsprechendem DAC/KHV vorbehalten.