Die Canon EOS R6 im FeldFünf Daumen hoch bekommt Canon von mir dafür, dass sie es sich verkniffen haben, die AF-Eigenschaften der R6 gegenüber der R5 zu beschneiden. Beide Kameras nutzen die gleiche Technik (samt Prozessor) und Funktionsvielfalt zur automatischen Fokussierung mittels Canons eigenem Dual Pixel AF. Zahllose winzige Phasen-Detektoren direkt auf dem Sensor, die fast die gesamt Fläche des Bild-Chips einnehmen, sorgen für rasend schnelle Fokussierung auch bei schlechtem Licht oder bei sich schnell bewegenden Motiven.
Noch besser: Canon hat den AF dank Machine Learning inzwischen auf ein Niveau gebracht, das wieder zur Spitze heutiger AF-Technologien aufgeschlossen hat, wie im Hinblick auf Augenerkennung und Tracking.
Das allerbeste aber: Trotz zahlreicher Möglichkeiten zum „Feintuning“ der AF-Eigenschaften und zur Individualisierung auf ganz bestimmte Aufnahmesituationen, sind lediglich ein paar wenige Grundeinstellungen nötig, um ein echtes Set-and-Forget-Erlebnis zu erhalten. Also eine Einstellung, die fast jeder Aufnahmesituation gewachsen ist, ohne dass der Fotograf ständig etwas an den Einstellungen ändern müsste.
Bei mir sind das: AF mit Augenerkennung und Servo (Tracking), zusammen mit automatischer Priorität bei der Augenerkennung. (Die Kamera lässt sich auf Mensch- oder Tiererkennung priorisieren.) Es muss lediglich im Menü einmal der initiale AF Punkt in der Mitte aktiviert werden, mit dem man das Motiv kurz anvisiert und dann den Verfolgungs-AF den Rest machen lässt. Das funktioniert tatsächlich so gut, wie ich es noch bei keiner Kamera zuvor auch nur annähernd erlebt habe. Damit ist die R6 auch die erste Kamera, bei der ich mich voll auf den Verfolgungs-AF verlasse und nicht mit einem einzelnen Messpunkt arbeite, den ich manuell auf das Motiv verschieben muss. – Ein (für mich) völlig neues Gefühl von fotografischer Freiheit!
Natürlich ist auch dieses System noch nicht perfekt. Die Ausbeute an punktgenau scharfen Aufnahmen in den unterschiedlichsten Situationen ist aber enorm.
Dazu trägt auch der neue Sensor-Bildstabilisator (IS) bei, der ebenfalls ohne Abstriche dem der teureren R5 entspricht. Bis zu sagenhaften 8 Blendenstufen Wackelausgleich sollen damit möglich sein – je nach Objektiv und in Verbindung mit dessen IS. Im schlechtesten Fall aber immer noch etwa 5-6 EV. Im Gegensatz zu dem aus der E-M1 und deren Nachfolgern bekannten Stabilisatoren (bis zu 7,5 Blendenstufen in der E-M1 III bzw. X plus Objektiv-IS) wirkt der Wackelausgleich der R6 tatsächlich leicht überlegen – wenn auch im Grenzbereich nur rein subjektiv. So oder so ein fantastisches Ergebnis.
Im Menü der Kamera bei den Auto-ISO-Einstellungen lässt sich ergänzend festlegen, ob die Kamera eher höhere ISO mit kürzerer Verschlusszeit, oder umgekehrt, geringere ISO mit längerer Verschlusszeit wählen soll. Wer also viel unbewegte Motive fotografiert und eine ruhige Hand hat, kann die ISO-Automatik so besser ausnutzen.
Lowlight-Eigenschaften gehören ja seit Anbeginn der digitalen Foto-Ära zu den Haupt-Gesprächsthemen unter den Foto-Nerds. Auch ich war fleißig dabei. Ich erinnere mich an einige hitzige Diskussionen im Forum, die aus heutiger Sicht lächerlich unsinnig erscheinen. Was daran liegt, dass die Kameras inzwischen ein Niveau erreicht haben, dass High-ISO-Diskussionen und Rauschpixel-Vergleiche bei 200%-Darstellung nur noch echte Hardcore-Nerds interessiert. Canon hat mit dem Sensor in der R6 (der weitgehend dem in der Canon EOS-1D X Mark III entspricht) nicht nur beim Rauschen, sondern auch beim Dynamikumfang wieder weitgehend zur Spitze aufgeschlossen.
Im Vergleich zu den Möglichkeiten von Four-Thirds-Sensoren, mit denen ich schon seit Jahren völlig zufriedenstellend leben kann, ist die Rückkehr zum Vollformatsensor aber noch mal ein spürbarer Sprung nach vorn. So weit, dass ich mich auch bei der ISO-Wahl erstmals lieber auf die Automatik der Kamera verlasse, als diese stets manuell vorzugeben. Zusammen mit der Rauschunterdrückung der In-Camera erzeugten JPEGs, oder den nachträglich entrauschten RAWs, ist Rauschen eigentlich in keiner Situation mehr ein Thema. Bis ISO 25.600 lasse ich die Kamera einfach machen. – Von wenigen Ausnahmen abgesehen.
Mit den RAW- bzw. C-RAW-Files der R6 (.CR3) habe ich bislang mangels Zeit und geeignetem RAW-Prozessor (Canons DPP ist ein Graus!) noch nicht sehr intensiv beschäftigen können. Ebensowenig mit dem HEIF-Format, welches die R5/R6 bieten und das zukünftig großes Potential hat, zu einem brauchbaren JPEG-Ersatz zu werden. Das Thema werde ich noch mal in einem anderen Bericht angehen. Erstaunlich ist aber, wie gut und sofort einsatzfähig die JPEGs direkt aus der Kamera hier sind. Und wie viel Headroom diese z. B. bei Schattenaufhellung bieten. Mit einem iPhone-JPEG braucht man diese Regler in der Nachbearbeitung eigentlich gar nicht erst anfassen. Die JPEGs aus der R6 lassen demgegenüber deutlich mehr Spielraum. Wie auch immer das geht, denn letztlich sind auch das nur 8-Bit-JPEGs.
Wie bei praktisch allen Digitalkameras, mit denen ich bislang gearbeitet habe, tendiert auch die R6 manchmal zu einem etwas zu hohen Blauanteil. Nicht etwa aufgrund einer stark daneben liegenden Weißbalance. Das Problem tritt oft bei Produktfotografie auf. Etwa bei schwarz lackierten Geräten oder silbernen Metallen. Hier ein Beispiel:
Links im Bild haben die schwarzen und silbernen Elemente des Objekts vor allem in den Lichtern einen zu hohen Blauanteil. Rechts wurde der Blauanteil um 65% reduziert. An chromatischen Aberrationseffekten liegt es offenbar nicht.
Das Phänomen tritt bei der R6 deutlich seltener, gemäßigter auf, als bei den zuletzt getesteten Kameras von Olympus.
Abgesehen von solchen altbekannten aber leider nur selten behandelten Phänomenen ist die JPEG Out-of-Camera-Performance der R6 traumhaft gut. Auch was die Natürlichkeit der Farben im allgemeinen angeht.
Der Akku ist nur MittelmaßDer neue, gegenüber den Vorgängern leistungsstärkere Akku LP-E6NH (7,2V, 2.130 mAh, 16 Wh) hat in der R6 eine CIPA-Reichweite von rund 380 Aufnahmen (bei Nutzung des energiehungrigen EVF). Je nach Anwendungsprofil kann das für mehrere Tage reichen, oder es erfordert dringend den Kauf eines zusätzlichen Akkus als Wechselreserve. In meinem Fall reicht es in aller Regel locker über einen ganzen Tag. Die Reichweite ist damit nicht besser oder schlechter, als bisher mit Olympus gewohnt. Im großen Konkurrenzvergleich ist die Effizienz der R5/6 aber nur Mittelmaß.
Was ich mir wünschen würde, ist eine schnellere Lademöglichkeit. Egal ob per USB-C in der Kamera, oder im externen (mitgelieferten) Ladeadapter: es braucht immer ein paar Stunden, einen weit leergesaugten Akku komplett aufzuladen. (Eine exakte Zeitmessung habe ich noch nicht vorgenommen.)