Es herrscht landläufig die Meinung, dass Smartphones inzwischen so gute Kameras hätten, dass sie richtige (System-) Kameras mehr und mehr überflüssig machen würden. Doch das stimmt nur in sehr begrenztem Umfang. Auch wenn iPhone & Co. unzweifelhaft ein hohes qualitatives Niveau mit ihren eingebauten Kameras erreicht haben und dank Computational Photography sogar gewisse Effekte simulieren können, die physisch mit ihren Mitteln eigentlich nur extrem begrenzt möglich sind (Bokeh), fehlt ihnen doch ein ganz entscheidendes fotografisches Hilfsmittel: das Wechselbajonett für Objektive. Zwar gibt es heute etliche Aufsatzlinsen bzw. Objektive, die sich wie eine Brille vor die fest verbaute Optik der Smartphones setzen lassen, aber das sind nur Krücken.
Wenn wir mal außer acht lassen, dass auch die Sensorgröße ein sehr entscheidendes Unterscheidungskriterium, oder ein limitierender Faktor für die Kamerawelt der Smartphones ist, sind es vor allem die vielen unterschiedlichen Objektive, die Systemkameras nach wie vor so beliebt machen. Zumindest bei denen, die das gewisse Mehr für ihre fotografischen Ambitionen erwarten oder es für ihre beruflichen Zwecke schlicht brauchen.
Interessanterweise sind es oftmals Objektive mit Festbrennweite, die einen besonderen Reiz ausüben. Dabei sollte man annehmen, dass die viel flexibleren Zoom-Objektive doch eigentlich viel sinnvoller wären. Aber in der Welt der Systemobjektive hat der Spruch „Horses for Courses“, also das Richtige Pferd für den richtigen Kurs, einen ganz besonders hohen Stellenwert. Es gibt nicht „das Eine Allround-Objektiv für alles“. Und die beste optische Abbildungsleistung ist nach wie vor bei Festbrennweiten zu finden, auch wenn Zooms hier ordentlich aufgeholt haben.
KompaktBezeichnung | | RF 135mm F1.8 L IS USM |
Art | | Objektiv, Festbrennweite |
Verfügbarkeit | | derzeit eingeschränkt |
Mein aktuelles Testobjektiv, das
Canon RF 135mm F1,8 L IS USM, ist ein Paradebeispiel dafür. Mit einer festen Brennweite von 135 mm, leichtes bis mittleres Tele, fällt es genau in den Bereich, den eigentlich das sogenannte Reporter-Zoom, also ein
70-200 mm F/2,8 abdeckt. Berücksichtigt man zusätzlich, dass das RF 135 mit rund 2.700 Euro schon beinahe so viel wie das besagte 2,8er Profi-Zoom kostet (3.200 Euro), oder sogar 850 Euro mehr als ein
RF 70-200mm F4L IS USM, ist der Käuferkreis sicherlich recht begrenzt. Aufgrund seiner speziellen Eigenschaften ist es dennoch eine ernsthafte Überlegung wert, denn die Brennweite von 135 mm ist vielseitiger, als man denkt.
Zunächst zu den wichtigsten technischen Eigenschaften. (Die kompletten Daten finden Sie
hier.) Canon hat dem RF 135mm F1,8 L IS USM ein paar sehr leckere Eigenschaften mit auf den Weg gegeben, die man in exakt dieser Kombination nirgendwo sonst findet und die das EOS-R-Kamerasystem um eine Attraktion reicher machen.
Neben der hohen Lichtstärke von f/1,8 sind das ein für diese „Gewichtsklasse“ sehr schneller und leiser AF, ein optischer Bildstabilisator (IS) für 5,5 Blendenstufen Wackelausgleich (bis 8 Blendenstufen in Verbindung mit Sensorstabilisator IBIS), und eine recht kurze Naheinstellgrenze von 70 cm.
Der kürzeste Fokussierabstand wird immer von der Sensorebene aus gemessen. Heißt, der Abstand zur Frontlinse bzw. zur Vorderkante der Streulichtblende ist entsprechend geringer. In diesem Fall sind das bezogen auf die Streulichtblende 23 cm weniger. Für das RF 135 ergibt sich ein maximaler Abbildungsmaßstab von ca. 0,26x. Das ist zwar noch kein Makro (bei Canon ab 0,5x), aber für eine Tele-Festbrennweite wie diese schon sehr gut.
Ein sehr ähnliches Objektiv bietet Sony mit dem
FE 135mm F1.8 GM für E-Mount an. Das hat bei gleicher Brennweite und Lichtstärke ebenfalls 70 cm Naheinstellgrenze und ist ungefähr gleich groß und schwer. Aber das Sony kostet mit einem UVP von 1.999 Euro satte 700 Euro weniger. Klar, dass da Kritik an Canons Preisgestaltung aufkommt.
Der einzige wesentliche Nachteil des Sony ist der fehlende optische Bildstabilisator. Sony-Fotografen müssen sich damit allein auf den IBIS verlassen. Da Canon derzeit keine Fremdobjektive für RF-Mount zulässt (zumindest keine, die den elektronischen Anschluss und Datenaustausch mit der Kamera ermöglichen), haben Canon R-Nutzer auch keine Möglichkeit, auf günstigere Alternativen von Herstellern wie Sigma, Tamron etc. zurückzugreifen. Doch in Anbetracht der Gesamtperformance und den ideal zum System passenden Eigenschaften des RF 135 glaube ich, dass es dennoch großen Absatz finden wird. – Und kaum jemand wird diese Investition bereuen, denn das RF 135 ist traumhaft gut.
Übrigens: In den USA wird das EF 135 für 2.199 Dollar angeboten. Von schwankenden Umrechnungskursen und der bei uns stets im Preis enthaltenen Mehrwertsteuer (19%) abgesehen ist das RF 135 bei uns etwa 200 Euro höher als in verschiedenen anderen Ländern bepreist. Das liegt auch daran, weil bei uns eine Puffermarge für Aktionen wie Cash-Back-Aktionen einkalkuliert ist. In den USA gibt es seltener solche Preisnachlässe.
Der Preis bleibt aber mit einem schielenden Auge auf das Sony-Pendant gerichtet auf jeden Fall diskussionswürdig. Canon muss sich hier eine gewisse Apple-Mentalität vorwerfen lassen, die Alternativen von Drittanbietern einschränkt und einen Exklusivitäts-Aufschlag einkalkuliert.