Déjà-vu! Schon faszinierend, wie sich die Grabenkämpfe der 2000er zwischen den Anhängern verschiedener Kameramarken bei den Smartphone-Kameras wiederholen.
Wie früher werfen sich Nutzer in den Foren und Kommentaren isolierte Features als Gründe für die vermeintliche Überlegenheit eines bestimmen Herstellers bzw. Modells um die Ohren. Früher: Mehr Megapixel = besser … höhere ISO = besser … höhere Serienbildgeschwindigkeit = besser etc. pp. Bei den Smartphones geht es jetzt darum, wer den besseren Nachtmodus hat, das längere Tele bietet und ähnliche Einzelfeatures.
Ab einem gewissen Grad der Bildqualität (und den haben selbst Smartphones durchaus schon erreicht) spielen Einzelfeatures allerdings nur noch eine untergeordnete Rolle. Was zählt, ist die Gesamtperformance in Verbindung mit dem persönlichen Bedarf. Horses for Courses, wie der Engländer sagt.
Ich habe mich vor allem deshalb für den Kauf des
iPhone 11 Pro statt des iPhone 11 entschieden, weil die Top-Version eine zusätzliche Kamera besitzt. Ich sage bewusst „Kamera“ und nicht „Objektiv“, denn tatsächlich verfügt jedes der eingebauten Objektive über seinen eigenen Bildsensor. Die vier im 11 Pro verbauten Kameras (inkl. der Front-Kamera) bieten allesamt eine Auflösung von 12 Megapixeln, unterscheiden sich ansonsten aber in einigen Details.
Zunächst eine kleine Übersicht über die Objektive und die Sensorauflösung. Das iPhone 11 Pro (und 11 Pro Max) besitzt drei rückseitig verbaute Kameramodule und eine frontseitige Kamera mit folgenden Eigenschaften:
1. Die HauptkameraBrennweite: 26 mm*
Blende: ƒ/1,8
Auflösung 4.032 x 3024 Pixel
Autofokus: Phasen- und Kontrastmessung
ISO: Minimum 32, Maximum 3.072
Verschlusszeit: 1s bis
1/125.000soptischer Bildstabilisator
2. Die „Tele“-Kamera (eigentlich eher eine Normalbrennweite)Brennweite: 52 mm*
Blende: ƒ/2.0
Auflösung 4.032 x 3024 Pixel
Autofokus: Phasen- und Kontrastmessung
ISO: Minimum 21, Maximum 2.016
Verschlusszeit: 1s bis
1/45.000soptischer Bildstabilisator
3. Die Ultra-Weitwinkel-KameraBrennweite 13 mm*
Blende: ƒ/2,4
Auflösung 4.032 x 3024 Pixel
Keine manuelle oder automatische Fokussierung
ISO: Minimum 21, Maximum 2.016
Verschlusszeit: 1s bis
1/45.000s4. Die Frontkamera (Selfie-Cam)Brennweite 24 mm*
Blende: ƒ/2,2
Auflösung 4.032 x 3024 Pixel**
Autofokus: ??
ISO: Minimum 23, Maximum 2.208
Verschlusszeit: 1s bis
1/48.000s*Alle Brennweitenangaben im Kleinbildäquivalent
**Die Frontkamera gibt nur im Querformat die volle Auflösung von 12,2 Megapixeln (4.032 x 3.024) aus. Aufnahmen im Hochformat haben nur rund 7,3 Megapixel (2.361 x 3.088). Die Spezifikationen stammen aus einer Auswertung der Entwickler der bekannten Kamera-App
Halide und offenbaren ein paar interessante Informationen. Besonders hervor sticht die extrem kurze Verschlusszeit der Hauptkamera von 1/125.000s. Wozu diese genutzt werden könnte, ist derzeit noch unklar. Etwas uneindeutig ist auch die Tatsache, dass zumindest nach dieser Auswertung keine der Kameras eine längere Verschlusszeit als 1 Sekunde bietet, obwohl im Night Mode auch eine Belichtungszeit von bis zu 10 Sekunden möglich sind. Die Daten sind daher ein wenig mit Vorsicht zu genießen. Zum Vergleich: Das iPhone XS bot als kürzeste Verschlusszeit mit den rückseitigen Kameras 1/22.000s und 1/50.000s mit der Frontkamera.
Interessant ist auch, dass sich die Basis-ISO im Vergleich zum iPhone XS bei der Haupt-, Tele-, und Frontkamera um eine halbe Blendenstufe erhöht hat. Zur Erklärung: Die Basis-ISO gibt quasi den Sweet-Spot an, bei der der Sensor im optimalen Bereich arbeitet. Alle Werte über der Basis-ISO bedeutet eine zusätzliche Signalverstärkung, was mit mehr Rauschen einher geht. Die Erhöhung der Basis-ISO deutet auf eine verbesserte Sensorempfindlichkeit hin.
Aus anderen Quellen geht hervor, dass die Ultra-Wide Kamera keinen variablen Fokus hat. Aufgrund der Brennweite und des vergleichsweise kleinen Smartphone-Sensors ist dies aber auch nicht zwingend nötig, da ohnehin von sehr nah bis unendlich alles im Schärfebereich liegt. Eine andere, etwas weniger nachvollziehbare Erkenntnis ist, dass die UW-Kamera zumindest im Moment kein RAW unterstützt.
Das von Apple stets als "Tele", bezeichnete Objektiv mit umgerechnet 52 mm Brennweite ist nach klassischer Betrachtung nur eine Normalbrennweite. Etwa 50 mm Brennweite bei Kleinbild oder Vollformat entsprechen dem menschlichen Sehwinkel (in Bezug auf die Größenwahrnehmung). Von einem Tele spricht man eigentlich erst ab etwa 70 mm aufwärts. Die Übergänge sind fließend und nicht standardisiert. Im Vergleich zu den 13 mm des UW-Objektivs sind 52 mm aber schon das Vierfache, weshalb es im Display beim Umschalten schon fast wie eine Tele-Vergrößerung aussieht.
Ein echtes Teleobjektiv mit Vergrößerungsfaktor, wie es sie in einigen Smartphones anderer Hersteller bereits gibt, erfordert einige Kompromisse. Um die für Tele nötige lange Brennweite in den flachen Gehäusen unterbringen zu können, baut beispielsweise
Huawei sein 8-MP-Tele mit 125 mm Brennweite "liegend" ein und lenkt das eintreffende Licht über ein Prisma in das Objektiv. Die Umlenkung ist nicht nur aufwendig, sondern auch mit qualitativen Verlusten verbunden. Zudem sind größere Brennweiten weniger Lichtstark (im P30 Pro z.B. nur ƒ/3,4), was gerade bei den kleinen Smartphone-Sensoren mit sehr niedriger Basis-ISO problematisch ist.
Dass Apple statt eines Tele ein Ultra-Weitwinkel im iPhone 11 Pro verbaut, ist aus meiner Sicht daher die bessere Wahl gewesen.
Übrigens: Bitte verwechseln Sie nicht "Tele" mit "Zoom". Das iPhone 11 hat zwar über das Interface eine Zoomfunktion, um (nahezu) stufenlos zwischen den Brennweiten der drei Objektive zu variieren, aber die Optiken sind allesamt Festbrennweiten. Alle zwischen den eigentlichen Brennweiten 13, 26 und 52 mm gewählten Werte werden interpoliert. Einen stufenlosen
optischen Zoom hat das iPhone 11 Pro nicht. In der Praxis fällt die Interpolation allerdings kaum auf, sodass Sie die Zoomfunktion zur Wahl des idealen Bildausschnittes sorglos nutzen können.
Die technischen Daten allein sagen natürlich nichts über die Bildqualität aus. Zumal das iPhone und viele seiner Konkurrenten inzwischen mit sehr viel Rechenleistung und cleveren Algorithmen für ein natürlicheres Aussehen der Ergebnisse sorgen. Dafür steht der Begriff „Computational Photography“. Denn so sehr die Sensortechnik inzwischen auch fortgeschritten ist, bleiben die technisch bedingt relativ kleinen Sensoren in Smartphones gegenüber Systemkameras doch stets im Nachteil. Und zwar rein physikalisch bedingt, was auch die beste Software nicht komplett verschleiern kann.