nuraphone – Praxis und KlangEin besonderes Merkmal der außergewöhnlichen Konstruktion des nura ist, dass er schon ohne ANC eine sehr hohe Außenschall-Isolierung bietet. Es ist schließlich so, als trüge man einen geschlossenen In-Ear und darüber zusätzlich einen geschlossenen Over-Ear. ANC bietet eine zusätzliche Abschwächung tieffrequenter Störgeräusche. Nura nennt übrigens eine Akkuausdauer von mindestens 20 Stunden, egal, ob mit oder ohne aktiviertes ANC.
Mit dem nura auf dem Kopf und eingeschaltetem ANC dürfte dies einer der am besten geräuschisolierenden Kopfhörer überhaupt sein. Beispielsweise wird staubsaugen mit dem nura zu einer beinahe unhörbaren Tätigkeit – zumindest für den nura-User. Straßenlärm wird ebenfalls sehr effektiv ausgeblendet, was allerdings die Frage nach der Sicherheit im öffentlichen Verkehr umso heikler macht. Ich möchte jedenfalls keinem Radfahrer mit nuraphones auf dem Kopf begegnen. Die dürften von ihrer Umwelt so gut wie nicht wahrnehmen und wären damit ein echtes Sicherheitsrisiko. Ebenso wie fußgängige Smombies, die gebannt auf ihr Smartphone starren und so quasi blind und taub durch die City geistern.
Für Vielreisende in Bahn, Flugzeug oder Bus ist der nuraphone aber vermutlich die beste derzeit verfügbare Lösung, um sich akustisch auszuklinken. Über die „Social“-Funktion können bei Bedarf Stimmen von außen durchgelassen werden.
Die Bedienung über die per App konfigurierbaren Sensortasten links und rechts am Hörer ist nach kurzer Eingewöhnung sehr komfortabel. Maximal vier Funktionen lassen sich durch Einzel- und Doppeltippen abrufen. Ich habe mir die Lautstärke durch Einzeltippen und Titelsprung vor und zurück durch Doppeltippen eingestellt.
Die Sensorflächen sind allerdings ziemlich empfindlich. Schon eine leichte Berührung reicht, um die programmierte Funktion auszulösen. Leider kommt es dadurch manchmal zu Fehlbedienungen, wenn die Touchfläche versehentlich berührt wird. Jede Funktion wird mit einem etwas gewöhnungsbedürftigen „Plopp“ oder „Knack“-Geräusch bestätigt, das aber nicht so laut und irritierend ist, wie das beim Einschalten von ANC.
Einmal sauber justiert, ist der Tragekomfort des nura sehr gut. Wobei das Ergebnis sicherlich auch von der Kopfform und Ohrgeometrie des Trägers abhängig ist. Die In-Ear-Stücke werden durch die Außenschalen nicht zu tief oder zu fest in den Ohrkanal gedrückt. Die ohrumschließenden Kapseln haben keinen zu hohen Anpressdruck, sitzen aber sehr sicher und fixieren gleichzeitig den Sitz den In-Ear-Stücke. Wie bei allen geschlossenen Kopfhörern mit hoher isolierender Wirkung ist auch der nuraphone nicht ganz frei von Rumpelgeräuschen, die vom Körper oder der Kleidung auf das Gehäuse übertragen werden. Wer geschlossene Over-Ears gewohnt ist, wird das aber nicht als störend empfinden.
Ich habe im längsten Fall drei Stunden am Stück mit dem nura Musik gehört. Zwar haben wir gerade keine Sommertemperaturen, aber in der normal warm geheizten Wohnung hatte ich nicht das Gefühl von schwitzigen Ohren bekommen. Das Gehör fühlte sich nach dieser Zeit auch nicht sonderlich gestresst an (wobei ich nicht mit sehr hohen Pegeln gehört habe). Das ist schon ein gutes Anzeichen für einen ausgewogenen und nicht lästigen Klang.
Bevor wir zur Beschreibung der Klangqualität kommen, noch ein paar Erläuterungen zur Einmessung des nuraphone. In der App kann das persönliche Hörprofil (und weitere gespeicherte Profile anderer Hörer) mit der Einstellung „neutral“ verglichen werden. Und da wird es etwas seltsam. In Stellung "neutral" klingt der nuraphone schlicht und ergreifend lausig. Fast so, als hätte er damit überhaupt keine Entzerrung des Frequenzgangs vorzuweisen, was bei Kopfhörern eigentlich unumgänglich ist. (Mehr dazu
hier.) Der Umschalteffekt zwischen „Neutral“ und „Individualisiert“ ist dadurch sehr dramatisch. Auf Nachfrage bestätigte mir der nura-Mitbegründer und CEO Dragan Petrović meinen Eindruck, dass in Nautralstellung keine Kopfhörer-übliche Entzerrung wirksam ist.
Daher hängt alles davon ab, wie gut die Einmessung auf die Ohren funktioniert, denn nur mit einem individualisierten Profil ist der nura wirklich zu gebrauchen.
In meinem Fall hat dieser Prozess, der weiter oben in den Screenshots beschrieben ist, sehr gut funktioniert. Die spacig aussehende runde Grafik, die dabei erzeugt wird, ist im Grunde genommen nichts anderes, als die ermittelte Korrekturkurve des Frequenzgangs, die grafisch in einer runden Form dargestellt wird. Also die tiefen Frequenzen auf 12 Uhr und dann im Uhrzeigersinn in der Frequenz ansteigend.
Hier ist eine kleine Animation zu finden, wie das gemeint ist.
KlangWomit wir bei der entscheidenden Frage wären, ob sich der nuraphone klanglich von anderen der Preisklasse um 400 Euro absetzen kann. Den beyerdynamic Aventho wireless (ab ca. 420 Euro;
Amazon) habe ich verfügbar. Der Heilbronner ist ebenfalls mit Bluetooth ausgestattet und bietet eine Einmessung auf das Gehör. Allerdings hat er kein ANC und ist ein On-Ear. Trotzdem denke ich, dass der Aventho Wireless ein sinnvoller Kandidat für den Klangvergleich mit dem nuraphone ist.
Alles in allem erfreut der nuraphone mit einer sehr direkten, kraftvollen, farbenfrohen Wiedergabe, die allerdings in Sachen Feinauflösung und Offenheit nicht ganz mit dem Aventho mithalten kann. Die Wirkung im Bass ist sehr stark von der Einstellung des Immersion-Reglers abhängig. Dessen Regelweg ist allerdings so groß und die Wirkung so intensiv, dass ich persönlich nie mehr als ca. 40% davon genutzt habe. In der Regel eher noch viel weniger. Ganz auf Null gestellt ist die Wiedergabe des nura sehr neutral und verfärbungsfrei. Etwas zusätzliche „Immersion“ ist aber durchaus nützlich, um dem Klangfundament auf die Sprünge zu helfen.
Die fühlbare Wirkung des Außentreibers tritt allerdings erst bei höheren Einstellungen deutlich zutage. Der damit erzielbare „körperhafte“ Klang lässt sich mit herkömmlichen Kopfhörern nicht erzeugen. Ich muss allerdings sagen, dass dadurch die Basspräzision leidet und das Geschehen ab einem gewissen Grad nur noch rumpelig wirkt. Daher habe ich den Regler nie sonderlich hoch eingestellt, womit die angestrebte körperliche „Immersion“ wiederum ausbleibt. Nun bin ich als anspruchsvoller Klangfetischist aber vielleicht nicht der richtige Maßstab. Absolute Basspräzision und Reinheit im Klang ist nicht für jeden Anlass und Musikgeschmack glückselig machend. Wer es gerne mal krachen lässt und das auch richtig spüren möchte, wird das Immersion-Feature lieben. Dank des Reglers in der App lässt sich der Effekt zum Glück auch komplett abschalten und die Musik neutral genießen. Trotzdem, für Klassik- und Jazzliebhaber erscheint mir der nuraphone nicht ganz die ideale Wahl zu sein.