Anfang der 90er Jahre wurde immer deutlicher klar, dass sich Apple auf die Suche nach einem Nachfolger des klassischen Mac OS machen musste. Das neue System sollte revolutionär werden und die Computerwelt genauso ins Staunen versetzen, wie es 1984 mit dem Macintosh geglückt war. Mit System 6 und 7 waren schlicht keine dringend benötigten Technologien wie präemptives Multitasking oder Speicherschutz umzusetzen.
Weiterhin konnte ein hängendes Programm also den kompletten Mac in Mitleidenschaft ziehen. Verschiedene Entscheidungen zur Systemarchitektur, die Anfang der 80er aufgrund von mangelndem Arbeitsspeicher und zugunsten schnellerer Ausführungsgeschwindigkeit sinnvoll waren, erwiesen sich nun als nicht mehr zeitgemäß. Es musste also etwas ganz Neues her.
1994: Ganz neues OS in nur zwei Jahren!Apple rief im März 1994 das nach Aaron Copland benannte Copland-Projekt ins Leben. Der Plan: Zwei Jahre lang entwickeln, dann sollte das neue System stehen und unter dem Namen OS 8 auf den Markt kommen. Apple hatte sich ambitionierte Ziele gesteckt. Copland war nicht als Update geplant, stattdessen hatte man im Sinn, eine Neuentwicklung anzubieten, die auf Apples bisherigen Erfahrungen mit grafischen Oberflächen basierte.
Die größten Neuerungen in Copland waren der Kernel samt grundlegend neuer Systemarchitektur sowie der Finder. Einige funktionelle Beispiele: Mehr als ein Kopierbefehl konnte gleichzeitig gestartet werden, Tabs am unteren Bildschirmrand dienten der Navigation, es gab ein systemweites Hilfe-System, mehrere Benutzer waren vorgesehen – und die geplante Suche erinnerte damals schon sehr an die Arbeitsweise von Spotlight.
1996: Nach nur zwei Jahren war... SchlussApple arbeitete tatsächlich wie geplant zwei Jahre an Copland – der damalige CEO Gil Amelio betätigte dann aber die Notbremse und stellte das Projekt ein. Die Entwickler hatten zwar viele innovative und beeindruckende Funktionen sowie Systemkomponenten entwickelt, allerdings kein fertiges System. Ein scherzhafter Ausspruch des Jahres 1996 lautete, Copland sei ein Sammelsurium aus fast fertigen Komponenten, die sich nur noch auf magische Weise zusammenfügen mussten.
Eine der weitreichenden Fehlentscheidung war, wie viele Komponenten man intern als "systemrelevant" markiert hatte. Die Vorgabe lautete, nur noch an besonders wichtigen Bereichen zu arbeiten. Daher deklarierten viele sonst möglicherweise ihrer Aufgaben enthobener Teams auch solche Bestandteile als relevant, die für das fertige Produkt eigentlich unerheblich waren – dann allerdings Probleme und Inkompatibilitäten mit sich brachten.
Technologisch gesehen gab es ebenfalls schwerwiegende Kompromisse. Alle Programme mit grafischer Benutzeroberfläche teilen sich einen Speicherschutzbereich, sodass sich diese Programme nach wie vor bei Fehlern beeinflussen konnten. Der Hintergrund: Apple wollte bestehende Programme für System 7 weiterhin unterstützen. Damit holte sich Apple exakt die Probleme wieder ins Haus, die man eigentlich beseitigen wollte. Die Stabilität von Mac OS X hätte Copland niemals erreicht.
Damaliger Apple-CEO schätzt die Lage richtig einAmelio befürchtete berechtigterweise, dass aus Copland ein Endlos-Projekt werden könnte – wenn es überhaupt jemals gelänge, ein marktreifes Produkt zu entwickeln. So blieb es bei den Bildschirmfotos, die fast zwei Jahre lang durch die Mac-Zeitschriften geisterten, meist mit dem kunterbunten Kids-Theme dargestellt.
Apple 1996: In fast allem gescheitertApple stand 1996 in mehrfacher Hinsicht vor dem Nichts. Die Verkaufszahlen sanken immer weiter, die Verluste häuften sich an – aber ein neues System konnte man als Befreiungsschlag ebenfalls nicht aufweisen. Alle Energie war in ein Projekt geflossen, welches sich weitgehend in Luft auflöste. Apple hatte nicht nur den
Prozess gegen Microsoft verloren (1992, dann 1994 bestätigt), sondern auch die zweite große Hoffnung beerdigen müssen.
Mac OS 8 kommt, aber ganz andersAls eine Art Notfallmaßnahme brachte Apple 1997 Mac OS 8
auf den Markt, das wenigstens manche für Copland versprochene Funktionen anbot. Dazu zählen der neue Finder, Kontextmenüs, aufspringende Ordner bei Drag&Drop, die HTML-basierte Hilfe, beliebige Hintergrundbilder, etwas später dann das Dateisystem HFS+. Revolutionen wie bei Copland gab es nicht – und vor allem fehlte weiterhin Speicherschutz und echtes präemptives Multitasking.
NeXT-Kauf rettet das UnternehmenViele der sonstigen Copland-Funktionen erschienen zwar, allerdings erst Jahre später mit Mac OS X. Apple entschied, das nächste große System nicht mehr selbst zu entwickeln, sondern einzukaufen. Mit NeXT und der Rückkehr von Steve Jobs sowie der Vorstellung von Mac OS X hatte man endlich die neue Plattform, die man in Eigenregie nicht entwickeln konnte - fünf Jahre später als geplant. Doch immerhin glückte es 2001, das nun wirklich nicht mehr sonderlich moderne, klassische Mac OS endlich abzulösen.