Warum die Rezepte des Silicon Valley nicht zum medizinischen Markt passen – Essay einer Branchenveteranin
Ohne jeden Zweifel sind Apple und andere Unternehmen aus dem Silicon Valley stark am Gesundheitsmarkt interessiert. Dort bietet sich nämlich eine nicht versiegende Quelle an immer neuen Produkten, um mit der medizinischen Forschung Schritt zu halten. Gleichzeitig hat der Großteil der Bevölkerung in irgendeiner Form Bedarf, die Hilfe medizinischer Produkte in Anspruch zu nehmen um Krankheiten zu bekämpfen. Zudem gibt es aber noch den gesamten Bereich der Vorsorge, um eventuelle Störungen frühzeitig zu erkennen. Apple engagiert sich seit mehreren Jahren und bietet unter anderem mit Lösungen wie dem ResearchKit Hilfsmittel für Kliniken an, um im großen Stile Studien durchführen zu können. Mehrfach zu hören war, Apple betreibe des Weiteren auch eigene medizinische Forschung, beispielsweise um irgendwann einmal, nicht-invasive Blutzucker-Messung mit der Apple Watch zu ermöglichen. Eine Branchenveteranin, die 22 Jahre bei Apple tätig war und zuletzt die Position "Senior Manager of Health Special Projects" innehatte,
äußert sich jetzt allerdings skeptisch. Robin Goldsteins Meinung zufolge passen die Rezepte des Silicon Valleys nicht zum Gesundheitsmarkt. Dabei geht sie nicht auf Apple, sondern die gesamte Technologiewelt ein.
Altes ersetzen...Für die meisten Produkte der Branche, die sich an normale Nutzer richten, gebe es zwei Grundrezepte. Ein Unternehmen erkennt, welche Abläufe oder alltägliche Gegenstände nicht mehr zeitgemäß sind und bringt dann eine von Grund auf neu konzipierte Lösungen auf den Markt. Der Vorteil gegenüber allen alteingesessenen Anbietern ist, von vorne beginnen zu können, ohne viele Altlasten mitschleppen zu müssen.
...und wenn's nichts taugt, kommt der NachfolgerKommt besagtes Produkt nun auf den Markt, bringt dort den Kunden aber keinen Mehrwert oder ist einfach von schlechter Qualität, so greift das "Fast Fail"-Prinzip. In diesem Falle hat man als "Early Adopter" einfach noch mehr Arbeit zu erledigen, das Produkt wird vom Markt genommen und eventuell durch eine neue Generation ersetzt. Erfüllt diese die Erwartungen, so gerät Generation 1 in Vergessenheit und für Kunden sowie Anbieter ist alles in Butter.
Leben und Tod, nicht LifestyleGenau diese Arbeitsweise sei aber zum Gesundheitsmarkt gänzlich inkompatibel, so Robin Goldstein. Jedes Technologieunternehmen habe schon einmal einen großen Flop gelandet, den niemand kaufen wollte. Doch so wie Apple, Amazon oder Google nie aufgrund einer Erstserie alles Kundenvertrauen verloren, können die Auswirkungen im medizinischen Sektor ganz andere sein. Medizinische Produkte und Lebenserwartung des Nutzers sind direkt miteinander verknüpft. Je nach Art der Technologie gehe es um Leben und Tod – und nicht nur darum, Freizeit ein wenig angenehmer zu gestalten.
Andere Art von KundenAußerdem richten sich teure medizinische Lösungen auch an andere Kunden. Nicht der Endanwender wird angesprochen, sondern gleichsam die Krankenkasse. Der Nutzer kauft nicht einfach eine Uhr zur Blutzuckermessung oder ein komplexes Monitoring-System für Körperfunktionen, sondern muss dafür Rücksprache mit Ärzten halten, außerdem bei der Krankenkasse Übernahme bzw. Kostenzuschuss beantragen. Schlägt letzteres fehl, dann erfolgt kein Kauf. Hält sich der Anwender nicht genau an die Verschreibung und Anleitung des Arztes, so versagt das Gerät. Komplexität und Herausforderungen liegen erheblich über dem erforderlichen Verständnis, um beliebige Consumer-Produkte einzusetzen.
Fehler sind oft endgültig – und bringen ganze Branchen in VerrufEntstehen durch medizinische Geräte Schäden, so gebe es erst recht keine zweite Chance für einen ersten Eindruck – sehr leicht kann eine gesamte Branche leiden. Als Beispiel nennt Robin Goldstein den Tharanos-Skandal. Ein Unternehmen hatte mit der falschen Behauptung hunderte Millionen Dollar eingestrichen, mit einem Tausendstel der sonst üblichen Blutmenge aussagekräftige Tests durchführen zu können. Der Wert des Unternehmens stieg auf 10 Milliarden Dollar an – bis ans Tageslicht kam, das es sich um einen großen Schwindel samt gefälschter Tests handelte. Das daraus entstehende Misstrauen brachte sämtliche Unternehmen aus diesem Sektor in Verruf – in Zukunft werden es Startups außerordentlich schwer haben, noch einmal mit neuen Lösungen anzutreten. Zum Vergleich: Ein mieses Smartphone, eine schlechte Smartwatch oder ein schlechtes Display schaden kaum der Konkurrenz. Die Marktgesetze sind völlig andere. Man könne dies vielleicht mit Autonomen Autos vergleichen, so Goldstein – baut ein solches Auto einen selbstverschuldeten Unfall, so misstraut man plötzlich allen Herstellern.
Das Fazit: Es ist eben nicht einfach nur die nächste große MarktchanceAus den genannten Gründen zieht Robin Goldstein das Fazit, der Gesundheitsmarkt dürfe von der High-Tech-Branche daher nicht einfach nur als "nächste große Marktchance" gesehen werden. Wer mit dieser Maßgabe arbeite, werde scheitern. Zwar sorge die schiere Größe des Gesundheitsmarktes samt seiner immensen Umsätze für leuchtende Augen, die Anforderungen liegen aber weit über denen herkömmlicher Produktentwicklung. Was den menschlichen Körper direkt betreffe, müsse mit einer besonderen Portion Sorgfalt versehen sein – und selbst dann könne schlechte Arbeit eines Konkurrenten die eigenen Errungenschaften komplett zunichte machen. Die Probleme sind lösbar, ein einfach zu erschließender Markt, der nächste logische Schritt, sei die Gesundheitswelt aber nicht.