Apple Watch und Beats-KaufDie Apple Watch war Tim Cooks Befreiungsschlag. Trotz guter Geschäftszahlen und einem sich inzwischen wieder auf hohem Niveau stabilisierenden Aktienkurs kritisieren Experten, Medien und Fans den Apple-CEO regelmäßig dafür, nicht genug Innovation zu bieten. Produktpflege sei ja schön und gut, nur stehe Apple eben auch für bahnbrechende neue Gadgets, die zu Begeisterungsstürmen führen und ganze Industriezweige durcheinanderwirbeln. Es stimmt zwar, dass Tim Cook beim Produkt-Portfolio seit dem Tod von Steve Jobs größtenteils auf Evolution statt Revolution setzt – allerdings hat sich Apples Marktstrategie auch etwas geändert.
Jobs verließ sich meist auf seinen Instinkt und lebte selbstbewusst die Mentalität vor, wonach Apple schon wisse, was der Kunde will – sogar noch bevor der Kunde es selbst weiß. Im Umkehrschluss hieß das, dass sich nach Jobs’ Verständnis der Markt Apple anpassen muss, niemals andersherum. Daher spielten in der Jobs-Ära Kundenbefragungen und Marktanalysen keine große Rolle. Tim Cook dagegen orientiert sich stärker am Markt und den sich ändernden Kundenvorlieben.
Das iPad mini und die größeren iPhones sind Beispiele dafür, wie Apple auf den Markt reagiert, statt als Vorreiter Kundenbedürfnisse vorauszuahnen. Natürlich ist es mangels Nachprüfbarkeit müßig, darüber zu diskutieren, welche Entscheidung Jobs genau so oder anders getroffen hätte – Cooks stärkere Orientierung am Markt ist aber unverkennbar. Der Apple-CEO ist, anders als Instinkt-Mensch Jobs, vorwiegend interessiert an Zahlen, Kosten und Profiten. Gleichzeitig handelt Cook pragmatischer als der oft stur an einer Idee festhaltende Jobs – dass das Credo der Ein-Hand-Bedienung bei den neuen iPhones ad acta gelegt wurde, ist ein Beispiel dafür.
Mut bewies Cook 2013 mit dem neu designten Mac Pro, der zudem komplett in den USA gefertigt wird. Cooks erklärtes Ziel ist aber nicht nur die Produktionsausweitung in den Vereinigten Staaten, sondern auch bessere Arbeitsbedingungen in den Zulieferer-Fabriken in Asien. Zusammen mit den inzwischen 12 Apple Stores in China und dem Verkaufsstart des iPhone beim größten chinesischen Mobilfunkanbieter (China Mobile) Anfang des Jahres unterstreicht dies Cooks Engagement in China – ein Markt, den Jobs eher vernachlässigte.
Mit der Apple Watch muss Cook jetzt beweisen, dass er die bestehende Produktpalette nicht nur erfolgreich pflegen kann, sondern auch Gespür und Timing für erfolgreiche Innovationen hat. Auffällig ist, dass die smarte Armbanduhr vom puristischen Ansatz der Mac- und iOS-Produktpalette abweicht; es gibt nicht etwa 1-2 unveränderbare Modelle, sondern drei Basisvarianten mit diversen Variationsmöglichkeiten (Armband, Gehäusegröße, Material). Dadurch erhält der Kunde zwar mehr Gestaltungsmöglichkeiten, zugleich wird der Wiedererkennungseffekt auf der Straße aufgrund der Masse an möglichen Erscheinungsformen aber verringert.
Der obligatorische Apfel, der sonst immer prominent und zentriert auf jedem Apple-Produkt angebracht ist, ist obendrein auf der Apple Watch kaum zu erkennen – ganz klein am Gehäuserand hat er sich versteckt. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass Apple die Armbanduhr als Modeartikel bewirbt und in dieser Branche große Logos eher verpönt sind.
Während die ersten smarten Armbanduhren bereits vor fast einem Jahr erschienen, betritt Apple diesen Markt vergleichsweise spät. Bezüglich des Zeitpunkts der Veröffentlichung hält sich Cook also weiterhin an die Jobs-Maxime, sich bloß kein Wettrennen mit der Konkurrenz zu liefern. „Es bedeutet uns viel mehr, es richtig zu machen, als das Produkt am schnellsten fertig zu haben“, so der Apple-CEO.
Am Design mitgewirkt hat sicher nicht nur Jony Ive, sondern auch die von Tim Cook eingestellten Modeexperten Paul Deneve (vorher CEO von Yves Saint Laurent) und Angela Ahrendts (ehemalige Chefin der Premium-Modemarke Burberry). Ahrendts ist zudem Einzelhandelschefin und damit verantwortlich für die Apple Stores weltweit. Mit den beiden Fashion-Größen demonstriert Cook nicht nur eine stärkere Hinwendung zur Modewelt und die Positionierung von Gadgets als Teil der Garderobe, sondern auch etwas, das es unter Jobs nur in weit geringerem Ausmaß gab: Zukauf von externer Expertise und sogar bekannter Unternehmen.
Im Mai machte Apple etwas, mit dem kaum jemand gerechnet hatte. Der milliardenschwere Kauf des Kopfhörerherstellers und Musikstreaming-Anbieters Beats warf zunächst die Frage auf: Was will Cook mit dem von Musikproduzent Jimmy Iovine und Hip-Hop-Ikone Dr. Dre geleiteten Unternehmen? Momentan führt Apple „Beats“ noch als eigene Marke weiter – ob und wann bestimmte Unternehmensbereiche wie der Musikstreaming-Dienst in Apple-Produkte integriert werden, ist aber noch nicht bekannt.
In jedem Fall zeigen die Verpflichtungen von Führungspersonen aus der Modebranche und der Erwerb der „hippen" Jugendmarke Beats, dass Tim Cook nicht auf Teufel komm raus alles intern regeln möchte, sondern bei Bedarf auch gestandene Business-Größen zu lotst: „Wir suchen nach Unternehmen mit großartigen Menschen und großartiger Technik, die kulturell zu Apple passen. Es gibt bei uns keine Regel, die es verbietet, viel Geld für andere Unternehmen auszugeben.“
Jobs hat Apples Rolle im Gegensatz dazu eher autark gesehen und vorrangig weniger bekannte Entwickler eingestellt bzw. Software erworben, die erst durch die Weiterentwicklung bei Apple den großen Durchbruch erlebt hat – z.B. kaufte Apple den Musikplayer Soundjam und machte daraus iTunes.
Auch für den Fitness- und Gesundheitsbereich hat Apple im vergangenen Jahr diverse Experten verpflichtet. Ohne deren Fachkenntnisse wäre die komplexe Sensor-Technik der Apple Watch kaum möglich gewesen. Cook möchte Apple auf mehr Märkten positionieren und sieht insbesondere Mode und Gesundheit als lukrative Märkte für Apple.