So hat sich Apple unter Tim Cook entwickelt: iPhone X, Apple Watch und neue Unternehmenskultur
2015: Im Windschatten des iPhone 6Tim Cook musste liefern. Dabei sah es in Cupertino zu Beginn des Jahres 2015 wirtschaftlich so rosig wie nie zuvor aus, da Apple im vorangegangen Quartal ein weiteres Rekordergebnis inklusive des Gewinns von 18 Milliarden US-Dollar gelang – so viel wie nie ein Unternehmen zuvor. Auf dem vielversprechenden China-Markt, wo Cook schon seit längerem Apples Präsenz stetig erweiterte, gelang dem Konzern als Smartphone-Anbieter der endgültige Durchbruch. Dies lag vor allem an den neuen iPhone-Modellen 6 und 6 Plus. Diese verabschiedeten sich vom 4-Zoll-Credo der vorangegangen Jahre und boten größere Displays, die nicht mehr problemlos mit einer Hand zu bedienen waren. Insbesondere die Plus-Variante mit 5,5-Zoll-Diagonale orientierte sich von den Maßen her an Android-Flaggschiffen wie Samsungs Galaxy-Reihe.
Doch bei aller Freude über die Verkaufserfolge gab es auch kritische Stimmen, die Cook schon seit dessen offizieller Inthronisierung als Apple-CEO im August 2011 begleiteten. Journalisten und Analysten bemängelten, der Konzern sei zu abhängig vom iPhone. Zwei Drittel des Umsatzes stammten allein vom Smartphone-Bereich. Anders als Konkurrenten wie Samsung sei Apple auf Gedeih und Verderb abhängig auf ein einzelnes Produkt angewiesen, dessen Lebenszyklus als Cashcow zwangsläufig irgendwann ende, so der Vorwurf. Und die nächste bahnbrechende Innovation war – mit Ausnahme der Apple Watch – nach wie vor nicht in Sicht. Das iPhone 6 sei das beste Beispiel dafür. Apple habe lediglich geschaut, welche essenziellen Vorzüge die Konkurrenz bietet (größere Displays) und diese kopiert.
Tim Cook war sich bewusst, wie wichtig das Frühjahr 2015 für seine Reputation als Firmenchef wurde. Zwar erwartete niemand von ihm, Apple auch nur annähernd so charismatisch und visionär wie sein Vorgänger Steve Jobs zu führen. Doch auch Teile der Apple-Fangemeinde zeigten sich zunehmend beunruhigt über die Produktpolitik der kleinen Schritte, die Cook seit seinem Amtsantritt durchsetzte. Das Prinzip „Evolution statt Revolution“ kam nicht bei jedem gut an – auch wenn in dem Zusammenhang gerne vergessen wurde, dass auch Jobs nicht jedes Jahr das nächste marktumwälzende Gadget aus dem Hut zauberte. Und der Apple-Chef hatte tatsächlich einiges in der Hinterhand.
Eine abgespeckte MacBook-VarianteDie erste größere Produktneuheit des Jahres war ein Apple-Laptop, der selbst das MacBook Air wie einen sperrigen Rechner aussehen ließ. Das lediglich „MacBook“ genannte Gerät stellte hinsichtlich der Gehäusedünne und des geringen Gewichts alles in den Schatten, was Apple bis dahin an Laptops veröffentlicht hatte. Kritik gab es für den Geiz an Anschlüssen (nur ein USB-C-Port), die vergleichsweise geringe Leistung und die gewöhnungsbedürftige Butterfly-Tastatur. Der nicht mehr beleuchtete Apfel auf der Rückseite glich für manche treuen Kunden einem Sakrileg.
Apple Watch: Die erste große Cook-InnovationAuf Apples März-Event 2015 war das MacBook aber nur das Vorprogramm zum eigentlichen Highlight: der Apple Watch. Cooks Jubelpose aus dem vergangenen Herbst, als er die Uhr erstmals präsentierte, rief den Kritikern bereits non-verbal entgegen: „Seht her, Apple ist auch unter meiner Führung innovativ!“ Cook verkündete den baldigen Marktstart des ersten komplett unter seiner Ägide entwickelten Gadgets.
Der wirtschaftliche Erfolg der intelligenten Armbanduhr ist schwer einzuschätzen, da Apple bis heute keine spezifischen Verkaufszahlen nennt. Die Umsätze der Watch werden immer gebündelt mit sonstiger Hardware und Diensten wie dem Apple TV in der Sparte „Andere Produkte“ veröffentlicht. Die Marktforscher von IDC gehen davon aus, dass Apple im Jahr 2015 mehr als 12 Millionen Exemplare verkaufte. Laut jüngster Zahlen des Marktforschungsunternehmens Canalys ist Apple mit einem Anteil von 23 Prozent Spitzenreiter auf dem Markt für Smartwatches und Fitnessarmbänder. Im dritten Quartal 2017 gingen demnach 3,9 Millionen Exemplare der Apple Watch über die realen und virtuellen Ladentheken.
Der verpatzte Start von Apple MusicIm Juni 2015 hatte Cook die nächste Neuheit zu bieten. Der Konzern wagte sich erstmals in das Metier des Musikstreamings, das dem iTunes Store in den letzten Jahren über Gratisdienste wie YouTube oder Bezahlangebote wie Spotify-Premium immer mehr Kunden abgejagt hatte. Wie schon beim größeren Display des iPhone 6 zeigte sich Apple als Spätstarter und lief abermals einem Markttrend hinterher. Im Gegensatz zum 2014er Smartphone-Flaggschiff vermasselte Apple den Start des Musik-Dienstes jedoch gründlich. Die erste Version rief wegen der unübersichtlichen Benutzeroberfläche und anderer Schwächen soviel Kritik hervor, dass Apple etwas mehr als ein Jahr später mit einem Redesign reagierte. Zwischenzeitlich waren schon viele enttäuschte Kunden zur Konkurrenz gewechselt. Im Herbst 2017 nutzten zwar über 30 Millionen Anwender Apple Music, doch der größte Konkurrent Spotify kommt mittlerweile auf mehr als doppelt so viele zahlende Kunden.
iPad Pro als PC-ErsatzDie letzte Apple-Produktneuheit des Jahres sparte sich Cook für den Herbst auf. Angesichts stetig sinkender iPad-Verkäufe sah der Apple-Chef Handlungsbedarf im hauseigenen Tablet-Bereich. Er reagierte mit einem größeren Sortiment, zu dem fortan ein Pro-Gerät gehörte, das für viele Anwendungsfälle als PC-Ersatz herhalten sollte. Für das iPad Pro erschien zudem exklusives Zubehör, darunter ein Stift. Kritiker machten sich über den Apple Pencil lustig und verwiesen auf Steve Jobs’ Worte bei der Präsentation des ersten iPhones im Jahr 2007: „Niemand braucht einen Stift (zur Bedienung des Touchscreens; Anm. d. Red.)!“ Allerdings verschwieg die Polemik, dass der Pencil ausschließlich für Grafiker und entsprechende Anwendungen gedacht ist und Jobs sich seinerzeit auf ein Eingabeinstrument zur komplettem UI-Bedienung bezog.
Tim Cook zeigte sich immer wieder als Fan des iPad Pro. Schon ein Jahr, bevor das Premium-Tablet auf den Markt kam, versicherte Cook, 80 Prozent seiner Arbeit auf dem iPad zu erledigen. Das Pro-Modell sei für ihn der letzte Schritt hin zum Rechner-Ersatz gewesen: „Auf Reisen nehme ich nur noch ein iPad Pro und ein iPhone mit.“ Der Apple-CEO verstieg sich sogar zu der Frage: „Warum benötigt überhaupt noch jemand einen PC?“ Für diverse Nutzer dürfte es die gegenüber macOS nach wie vor große Eingeschränktheit von iOS sein, die das Tablet trotz einiger Funktionserweiterungen in iOS 11 nach wie vor zu keinem echten Ersatz für ein MacBook oder einen iMac macht.
Apples Marketingchef Phil Schiller relativierte Cooks Aussagen zwei Jahre nach dem Verkaufsstart des iPad Pro – und der immer noch nicht stattgefunden Wachablösung des PCs – diplomatisch: „Wir haben gelernt, dass es – abhängig vom jeweiligen Nutzer – beides sein kann. Für manche Kunden ist es ein PC-Ersatz und sie benutzen ihr Tablet als Primärgerät, zum Beispiel auf Reisen. Deswegen schmeißen sie ihren Rechner aber noch lange nicht weg.“ Für andere Anwender habe das iPad Pro die Nase bei einzelnen Anwendungszwecken vorne, etwa beim Medienkonsum.
Den Abwärtstrend des Tablet-Sektors konnte auch das Pro-Modell zunächst nicht stoppen. Erst das günstigere iPad (2017) brachte Apple schließlich das erste Wachstum im Tabletgeschäft seit Jahren.