Der Bildschirm und die Front-Kamera-AusbuchtungÜber den Kamera-Börzel im Bildschirm des iPhone X wurde viel gewitzelt und auch Entwickler beschwerten sich, da viele Apps im Design extra für das neue Gerät angepasst werden müssen - für Anwendungen, die hauptsächlich iOS-Standardelemente nutzen kein Problem, allerdings für portierte Programme oder Apps mit eigener Benutzeroberfläche eine Menge Arbeit. Daher sind bisher nur wenige Apps an die neuen Gegebenheiten angepasst - nicht adaptierte Programme zeigen oberhalb und unterhalb einen schwarzen Balken an. Mit Sicherheit wird es noch einige Monate dauern, bis alle gängigen Anwendungen X-konform arbeiten.
Im Hochkant-Modus fällt die Aussparung nach einiger Zeit kaum auf, war doch auf älteren Geräten vorher sowieso an dieser Stelle die Statusleiste. Daher verschwendet der Börzel hier effektiv keinen Platz und als Anwender nimmt man diesen nach einigen Tagen nicht mehr als störend wahr. Anders sieht es im Quer-Modus aus: Beim betrachten von Fotos und Videos ragt dieser stets auf einer Seite ins Bild herein - was in er Praxis wirklich nervt, immer einen blinden Fleck am Rand des Displays zu haben.
Ansonsten gibt es beim ersten OLED-Display in einem Apple-Handy nichts zu meckern: Bei direkter Sonneneinstrahlung, in Dunkelheit und bei schummerigen Licht produziert der True-Tone-Bildschirm tolle, ausgeglichene, nicht übertriebene Farben (wie bei einigen Konkurrenzprodukten) bei guter Helligkeit. Eine blickwinkelabhängige, wahrnehmbare Farbverschiebung konnte ich nicht feststellen.
Anders sieht es bei der Software aus: Dort hat Apple an diversen Stellen Entscheidungen getroffen, die das OLED-Display nicht wirklich nutzen. Im Lese-Modus in Safari oder in iBooks lässt sich kein völlig schwarzer Hintergrund einstellen - genau dies ist einer der großen Vorteile von OLED-Displays, dass diese eine sattes Schwarz (selbst bei völliger Dunkelheit!) darstellen können. iBooks und Safari zeigt immer einen leicht leuchtenden Hintergrund - eine Option für völliges Schwarz fehlt in den Apple-Apps. Ebenfalls nervig ist, dass nicht von Apple mitgelieferte Hintergrundbilder immer abgedunkelt werden - lädt man sich ein neues Hintergrundbild auf das iPhone X, wird dies in der Vorschau in der Einstellungs-App in der vollen Farbenpracht gezeigt. Wechselt man danach auf den Home- oder Sperrbildschirm, wird nur eine dunklere Variante dessen angezeigt.
PerformanceDas iPhone X bringt den selben Prozessor des iPhone 8 und 8 Plus mit und bietet somit die selbe CPU- und GPU-Geschwindigkeit, muss allerdings einen höher aufgelösten Bildschirm ansteuern. In der Praxis lässt sich das iPhone X sehr flüssig benutzen, ohne dass es zu Rucklern an der Nutzeroberfläche oder langen App-Starts kommt. Im direkten Vergleich zum iPhone 6S Plus merkt man bei der Nutzung, dass das iPhone X über eine deutliche schnellere CPU und GPU verfügt - ein Umstiegsgrund sollte dieser Unterschied aber nicht sein, da ein iPhone 6S sich weiterhin mit iOS 11 nutzen lässt, ohne dass der Rechenleistungsnachteil deutliche negative Auswirkungen hat.
GehäuseDie Plus-Modelle von Apple sind für manche gerade nach Hosentaschen-tauglich, für andere hingegen einfach zu groß. Alleine das Festhalten des Gerätes kann bei kleineren Händen problematisch sein - trotzdem verkaufen sich die größeren Modelle laut Angaben von Tim Cook auf der letzten Quartalskonferenz sehr gut, da die nutzbare Bildschirmfläche einfach ein sehr gutes Argument ist, mit den größeren Gehäuseausmaßen zu leben.
Hier glänzt das X wirklich: Die nutzbare Bildschirmfläche ist ähnlich groß wie bei einem Plus-Modell, die Gehäuseausmaße erinnern aber eher an ein normales iPhone. Mich persönlich störte das iPhone 6S Plus von der Größe her nicht - solange ich meine Apple Watch trug. Hätte ich bei jeder Nachricht oder E-Mail das Plus-Modell aus meiner Hosentasche befördern müssen, hätte ich schnell den Umstieg auf ein kleineres Modell erwogen. Die Apple Watch verhinderte dies in den meisten Fällen, so dass ich die Vorteile des großen Bildschirms zu schätzen lernte, aber gleichzeitig nicht immer mit den Nachteilen des sperrigen Gehäuses konfrontiert wurde. Das iPhone X bietet beides: Großer Bildschirm und geringe Abmessungen.
Ohne Hülle lässt sich das iPhone X kaum verwenden, zu rutschig ist die Glasrückseite und zu wenig Griff bietet der schicke Edelstahlrahmen - ein Sturz wird schnell zu einem Splittern der Vorder- oder Rückseite des Handys führen. Es ist schade, dass ein solch schönes Gerät stets in eine Schutzhülle verpackt werden muss, um es im Alltag zu nutzen - dies trifft allerdings auf fast alle iPhone-Modelle seit dem iPhone 4 zu.
LautsprecherDass aus einem Handy kein Hi-Fi-System wird sollte jedem klar sein. Apple hat zwar in den vergangenen zehn Jahren Fortschritte bei den Lautsprechern in Kleingeräten gemacht, für Musikgenuss taugen diese aber nach wie vor nicht. Die Lautsprecher des iPhone X sind im direkten Vergleich zu einem 6S Plus in meiner persönlichen Wahrnehmung kein Fortschritt: Höhen wie auch Tiefen kommen zwar besser rüber, allerdings fehlt alles dazwischen, was häufig zu einem eher "plärrigen" Eindruck führt. Beim Telefonieren im Freisprech-Modus schlägt sich das X nicht besser oder schlechter als ein älteres iPhone.
KameraBeim allerersten iPhone spielte die Kamera eine sehr untergeordnete Rolle - die Bildqualität war verglichen mit heutigen Geräten mies. Allerdings merkte Apple wie auch andere Hersteller schnell, dass die verbaute Kamera ein großes Verkaufsargument für Smartphones darstellt - und besserten mit jeder Generation nach. Seit etwa dem iPhone 4, 4S und 5 konnte man akzeptable Fotos bei guter Beleuchtung der Szenerie schießen - bei schlechtem Licht waren Fotos kaum möglich.
Die verbaute Kamera auf der Rückseite verfügt, wie schon seit dem iPhone 7 Plus, über zwei getrennte Kamera-Module - eins für normale Aufnahmen und eine mit 2x-Zoom. Besonders beim iPhone X ist, dass auch letztere Kamera-Komponente optisch stabilisiert ist.
Während bei normalen Aufnahmen ohne Zoom zwischen einem iPhone 6S und 7 optisch kein Unterschied zwischen den Fotos festgestellt werden konnte, machte Apple mit dem iPhone 8 und X einen echten Schritt vorwärts. Besonders wird dies bei Bildern bei schlechten Lichtverhältnissen deutlich - wirkten bewegte Objekte bei einem 6S häufig unscharf und verwaschen, ist es mit einem iPhone 8 und X möglich, selbst bei schlechten Lichtverhältnissen akzeptable Bilder zu knipsen. Apple erreicht dies durch verbesserte Sensoren wie auch durch ausgefeiltere Software zur Nachbearbeitung der Sensor-Daten.
Nachdem ich in den letzten zwei Wochen Gelegenheit hatte, die X-Kamera öfters in unterschiedlichen Situationen zu testen, steht fest, dass Apple im Vergleich zum iPhone 6S Plus große Fortschritte gemacht hat. Bilder bei guter Beleuchtung sind bei genauerem Hinschauen etwas besser - bei schlechten Lichtverhältnissen ist die neue Kamera aus dem iPhone X der älteren Variante deutlich voraus. Hier gelingt es viel öfter, bewegte Motive auch bei schummriger Beleuchtung festzuhalten.
Fazit & Ärgernis Apple-MarketingDass das Apple-Marketing natürlich versucht, alle Vorzüge neuer Geräte im Superlativ anzupreisen, ist bekannt und bei anderen Herstellern nicht anders. Auch viele damalige Aussagen von Steve Jobs konnte man nur mit dem berühmten "Reality Distortion Field" erklären - so weit waren ab und zu Wirklichkeit und Anpreisung auseinander.
Beim iPhone X schießt aber die Marketing-Abteilung deutlich über das Ziel hinaus: Auf dem Vorstellungs-Event zum iPhone X wurde das neue Gerät in der Bedeutung mit dem ersten iPhone gleichgezeigt und als Handy, welches die nächsten zehn Jahre definieren wird, hingestellt. Wer sich nun Hoffnungen macht, dass Apple wieder so ein weltbewegendes neues Gerät wie das allererste iPhone auf den Markt gebracht hätte, wird bitterlich enttäuscht. Das iPhone X ist nach wie vor ein iPhone - es führt nahezu die selbe Software wir andere iPhones aus, es erlaubt in der Praxis exakt die Aufgaben zu erledigen, die man auch mit einem iPhone 6, 7 oder 8 erledigen kann und bringt keine Funktion mit, die plötzlich dem Käufer unterwegs etwas wirklich Neues bietet.
Zwar gab es auch vor dem ersten iPhone Smartphones, die den Versand von E-Mails und das Betrachten von Internetseiten unterwegs ermöglichten. Auch konnte man unter Windows CE schon Apps installieren und unterwegs verwenden. Das erste iPhone brachte aber ein völlig neues Bedienkonzept und eine völlig neue, durchdachte Benutzeroberfläche auf Basis eines modernen Betriebssystems mit, und ermöglichte es, diese Aufgaben unterwegs bequem und ohne Hindernisse zu erfüllen. Mit diesem Konzept wurde eine Industrie umgekrempelt - Jahre später sahen alle neue Smartphones dem iPhone zum Verwechseln ähnlich und übernahmen die Bedienkonzepte.
Das iPhone X ist auch nach zwei Wochen ein faszinierendes Gerät und die Neuerungen (Face ID, der große Bildschirm und die gute Kamera) nach wie vor willkommen. Es ist bisher das beste iPhone, das Apple auf den Markt gebracht hat und vielleicht auch das beste Smartphone, was sich derzeitig für Geld kaufen lässt. Hätte Apple dieses Gerät als iPhone 8 vorgestellt, wäre dies ein außerordentlich gelungenes Update, dass keine Wünsche offen lässt.
Apple schürt allerdings die Erwartungshaltung durch das übertriebene Marketing, die Produktbezeichnung und auch den Preis, dass einige Kunden eine echte, wirkliche Revolution wie 2007 zur ersten iPhone-Vortellung erwarten - dies könnte in einer Enttäuschung enden.