iTunes 4 – Erst gab’s den Music Store, dann fror die Hölle zu „Rip! Mix! Burn!“ Dieser iTunes-Werbeslogan bescherte Apple großen Ärger mit der Musikindustrie, die darin eine Aufforderung zum Raubkopieren („Rip“) sah. Die Reaktion zeigt gut, wie hilflos und rückwärtsgewandt Plattenlabels auf die Anfang des letzten Jahrzehnts allgegenwärtige Nutzung von Tauschbörsen wie Napster und Kazaa reagierten. Statt mit konstruktiven Konzepten und dem konsequenten Aufbau eines Online-Angebots reagierten die Label-Verantwortlichen mit Restriktionen, internen Streitereien und einer Kriminalisierung der Jugend.
Das Rad der Zeit ließ sich jedoch nicht mehr zurückdrehen, da das Internet einfach wie gemacht war für die massenhafte Verbreitung von Musik, Filmen und anderen Medien – egal ob legal oder illegal. Gegenüber dem Vertrieb über das Internet wirkten Tonträger wie CD oder gar Schallplatte schnell wie Relikte aus einer vergangenen Zeit. Vor allem Jugendliche bedienten sich mehr und mehr mit beiden Händen am Schlaraffenland der Tauschbörsen.
Nur mit dem Argument „Das ist Diebstahl!“ konnte die Musikindustrie kaum mehr jemanden beeindrucken. Apple erkannte früh, dass die Masse an Tauschbörsen-Nutzern nur über ein attraktives Online-Angebot wieder als zahlende Kunden gewonnen werden konnte. Teure, unflexible und proprietäre Abodienste der Labels waren keine ernstzunehmende Alternative und wurden von den Kunden entsprechend weitgehend ignoriert.
Daher begann Apple-CEO Steve Jobs die Präsentation des iTunes Music Store im April 2003 auch damit, zu erklären, wer im Mittelpunkt aller Online-Bemühungen der Musikindustrie stehen müsse: der Nutzer. Ein Online-Store müsse in erster Linie für Kunden attraktiv sein, nicht für Labels oder Rechteverwalter. Daraus ergebe sich automatisch die Frage: Welches Angebot ist so interessant, dass es mit überall verfügbaren und gratis verteilten Raubkopien mithalten kann?
Um das herauszufinden, mussten zunächst einmal die Schwächen der Online-Tauschbörsen ausfindig gemacht werden. Denn auch bei Napster, Kazaa und Co. war nicht alles Gold, was glänzte – das galt es auszunutzen, um Musikfans wieder auf legale Online-Pfade zu führen. Steve Jobs nannte die fünf größten Schwächen von Musik aus Tauschbörsen: unzuverlässige Downloads, schwankende Qualität, keine Vorschau, kein Coverbild – und natürlich die Tatsache, dass es sich um Diebstahl handelt.
Das heutzutage immer populärer werdende Abomodell à la Spotify widerstrebte Jobs immer, da Kunden laut Jobs Musik besitzen wollen. Damals machte dies auch noch mehr Sinn als heute, da es Kunden einfach noch gewöhnt waren, Tonträger zu kaufen und und dann im Regal stehen zu haben.
Steve Jobs kreierte schließlich mit folgender Formel die erste ernstzunehmende legale Alternative zum Filesharing: Alle Labels, ein Preis, kein Abo. Der Apple-CEO überzeugte die damals fünf größten US-Labels (BMG, EMI, Sony Music Entertainment, Universal und Warner) vom iTunes Store und setzte gegen großen Widerstand einen Fixpreis für jeden Song durch (99 Cent). Der schlagkräftigen Kombination aus iTunes und iPod hatte die Konkurrenz lange Zeit nichts entgegenzusetzen.
Als Zugeständnis an die Musikindustrie besaßen die Songs einen Kopierschutz (DRM), zudem gab es kleinere Einschränkungen beim Brennen von heruntergeladenen Liedern. Der Music Store war in iTunes integriert und arbeitete nahtlos mit der bestehenden Mediathek zusammen. Außer dem Music Store bot iTunes 4 auch weitere Neuerungen wie Podcast, Party Shuffle (iTunes DJ) und Apple-Lossless-Format für verlustfreies Rippen von CDs. Nur ein Jahr später verkündete Apple, dass Kunden bereits mehr als 100 Millionen Songs im iTunes Store gekauft hatten.
Der überwältigende Erfolg lag auch daran, dass etwas passierte, mit dem kaum jemand gerechnet hatte: Apple veröffentlichte iTunes samt Music Store im Herbst 2003 auch als Windows-Programm, ohne Abstriche bei den Funktionen oder dem Musikangebot zu machen. Jobs gab scherzhaft zu, dass manche eher mit einem Zufrieren der Hölle gerechnet hätten, als dass Apple einen solchen Schritt wage. Nach der Öffnung des iPods für Windows ein Jahr zuvor ging Apple den eingeschlagenen Weg allerdings nur konsequent weiter. Gewohnt bescheiden beschrieb Steve Jobs iTunes als „beste Windows-App, die jemals geschrieben wurde“. Die Bedienung eines PCs für die Präsentation der Windows-Version von iTunes kostete Steve Jobs zwar sichtlich Überwindung – für die Masse an Neukunden aus dem Windows-Lager erbrachte er dieses Opfer aber gern.